04.09.2019 Brüssel. Acht Wochen vor dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU hat die Europäische Kommission heute (Mittwoch) alle Bürger und Unternehmen in der EU-27 erneut aufgefordert, sich auf ein „No-Deal-Szenario“ vorzubereiten. Sie hat auch vorgeschlagen, dass der Europäische Solidaritätsfonds und der Europäische Fonds für die Anpassung an die Globalisierung zur Verfügung stehen sollten, um von einem „No-Deal“ besonders betroffene Unternehmen, Arbeitnehmer und EU-Staaten zu unterstützen. Angesichts der anhaltenden Unsicherheit im Vereinigten Königreich in Bezug auf die Ratifizierung des gemeinsam vereinbarten Austrittsabkommens und der allgemeinen innenpolitischen Lage bleibt ein Szenario ohne Abkommen am 1. November 2019 ein möglicher, wenn auch nicht erstrebenswerter Ausgang.

Das heute verabschiedete Papier ist die sechste Mitteilung zur Vorbereitung auf den Brexit der Kommission.

Dazu gehört eine detaillierte Checkliste, um den Unternehmen, die mit dem Vereinigten Königreich Handel treiben, dabei zu helfen, abschließende Vorbereitungen zu treffen.

Darüber hinaus schlägt die Kommission dem Europäischen Parlament und dem Rat vor, gezielte technische Anpassungen im Hinblick auf die Dauer der „No-Deal“-Notfallmaßnahmen der EU im Bereich Verkehr vorzunehmen. Zudem sollen die für 2019 bestehenden Notfallregelungen für den Fischereisektor und für die mögliche Beteiligung des Vereinigten Königreichs am EU-Haushalt 2020 auf das Jahr 2020 ausgedehnt werden. Das wurde mit Verlängerung der Frist bis zum 31. Oktober 2019 erforderlich.

Im Einzelnen hat die Kommission folgende Vorschläge gemacht.

Technische Anpassung spezifischer Notfallmaßnahmen, um dem 31. Oktober 2019 als Datum des Austritts des Vereinigten Königreichs Rechnung zu tragen

Am 11. April 2019 verlängerte der Europäische Rat (Artikel 50) die Frist nach Artikel 50 bis zum 31. Oktober 2019. Dies geschah auf Ersuchen des Vereinigten Königreichs und im Einvernehmen mit diesem.

Angesichts dieser Verlängerung hat die Kommission alle Vorbereitungs- und Notfallmaßnahmen der EU überprüft, um sicherzustellen, dass sie weiterhin ihren Zweck erfüllen. Sie hat technische Anpassungen an spezifischen Notfallmaßnahmen vorgeschlagen, um dem neuen Zeitplan Rechnung zu tragen.

Diese Anpassungen betreffen drei Hauptbereiche:

1. Verkehr

  • Eine Verordnung zur Gewährleistung der grundlegenden Konnektivität im Güter- und Personenkraftverkehr (Verordnung (EU) 2019/501): Die Kommission hat heute vorgeschlagen, diese Verordnung bis zum 31. Juli 2020 zu verlängern, was der Logik und der Geltungsdauer der ursprünglichen Verordnung entspricht.
  • Grundlegende Konnektivität im Luftverkehr (Verordnung (EU) 2019/502): Die Kommission hat heute vorgeschlagen, diese Verordnung bis zum 24. Oktober 2020 zu verlängern, was der Logik und der Geltungsdauer der ursprünglichen Verordnung entspricht.

2. Fischereitätigkeiten

  • Verordnung über Fanggenehmigungen: Die Kommission hat heute vorgeschlagen, den Ansatz in der angenommenen Notfallverordnung (Verordnung (EU) 2019/498) mit einer ähnlichen Maßnahme auf 2020 auszudehnen und für Fischer aus der EU und dem Vereinigten Königreich einen Rahmen vorzusehen, der den Zugang zu den Gewässern der jeweils anderen Partei für das Jahr 2020 aufrechterhält.

3. EU-Haushalt

  • Die Kommission hat heute vorgeschlagen, den Ansatz der Verordnung über Notfallmaßnahmen bezüglich des Haushalts für 2019 (Verordnung (EU, Euratom) 2019/1197 des Rates) mit einer ähnlichen Maßnahme für das Jahr 2020 zu verlängern. Das bedeutet, dass das Vereinigte Königreich und die Begünstigten im Vereinigten Königreich weiterhin für die Teilnahme an Programmen im Rahmen des EU-Haushalts in Frage kämen und bis Ende 2020 Finanzmittel erhalten könnten, sofern das Vereinigte Königreich die bereits in der Notfallverordnung für 2019 festgelegten Voraussetzungen akzeptiert und erfüllt, seine Beiträge zum Haushalt für 2020 leistet und die erforderlichen Prüfungen und Kontrollen ermöglicht.

Finanzielle Unterstützung der EU für diejenigen, die am stärksten von einem Brexit ohne Abkommen betroffen sind

In ihrer vierten Mitteilung zur Vorbereitung auf den Brexit vom 10. April 2019 kündigte die Kommission an, dass in bestimmten Bereichen technische und finanzielle Unterstützung durch die EU bereitgestellt werden kann, um die am stärksten von einem No-Deal-Szenario betroffenen Sektoren zu unterstützen.

Zusätzlich zu den bestehenden Programmen und Instrumenten hat die Kommission heute vorgeschlagen,

  • zur Deckung der erheblichen finanziellen Belastung, die den Mitgliedstaaten durch ein „No-Deal-Szenario“ auferlegt werden kann, den Geltungsbereich des Europäischen Solidaritätsfonds unter bestimmten Bedingungen auszuweiten.
  • dafür zu sorgen, dass Mittel aus dem Europäischen Fonds für die Anpassung an die Globalisierung zur Verfügung stehen, um Arbeitnehmer und Selbstständige, die infolge eines No-Deal-Szenarios entlassen worden sind, unter bestimmten Bedingungen zu unterstützen.

Im Agrarsektor wird das gesamte Spektrum der bestehenden Instrumente für die Marktstützung und die Direktbeihilfen für Landwirte zur Verfügung gestellt, um die schlimmsten Auswirkungen auf die Agrar- und Lebensmittelmärkte abzumildern. Zur weiteren direkten Unterstützung, beispielsweise von kleineren Unternehmen mit großer Exposition gegenüber dem Vereinigten Königreich, bieten die EU-Vorschriften für staatliche Beihilfen flexible Lösungen für nationale Unterstützungsmaßnahmen.

Irland

Mit Blick auf die einzigartige Lage auf der irischen Insel arbeiten die Kommission und Irland weiterhin zusammen, um Vorkehrungen sowohl für Notfalllösungen unmittelbar nach einem Austritt ohne Abkommen als auch für eine anschließende stabile Lösung festzulegen. Sie verfolgen das doppelte Ziels, die Integrität des Binnenmarkts zu schützen und gleichzeitig eine harte Grenze zu vermeiden. Die im Austrittsabkommen vorgesehene Backstop-Lösung ist die einzige Option, die gefunden wurde, um das Karfreitagsabkommen zu wahren, die Einhaltung völkerrechtlicher Verpflichtungen zu gewährleisten und die Integrität des Binnenmarkts aufrechtzuerhalten.

Hintergründe zur Vorbereitung auf ein No-Deal-Szenario

Bei einem Szenario ohne Abkommen würde das Vereinigte Königreich ohne Übergangsregelungen zu einem Drittland. Ab dem Zeitpunkt des Austritts würde das gesamte Primär- und Sekundärrecht der EU nicht mehr für das Vereinigte Königreich gelten. Einen Übergangszeitraum, wie er im Austrittsabkommen vorgesehen ist, gäbe es dann nicht. Dies würde natürlich erhebliche Störungen für Bürger und Unternehmen mit sich bringen und schwerwiegende negative wirtschaftliche Auswirkungen haben, die im Vereinigten Königreich im Verhältnis viel stärker wären als in den Mitgliedstaaten der EU-27.

Die Europäische Kommission bereitet sich seit Dezember 2017 auf ein Szenario ohne Abkommen vor. Bislang hat die Kommission 19 Legislativvorschläge vorgelegt, die inzwischen alle vom Europäischen Parlament und vom Rat angenommen wurden. Darüber hinaus hat die Kommission 63 Rechtsakte ohne Gesetzescharakter erlassen und 100 Hinweise zur Vorbereitung auf den Brexit veröffentlicht. Vor dem neuen Austrittsdatum plant die Kommission keine neuen Maßnahmen.

Wie von Präsident Juncker im Europäischen Parlament am 3. April 2019 dargelegt, sollte das Vereinigte Königreich im Falle eines No-Deal-Szenarios als Vorbedingung drei wesentliche Fragen im Zusammenhang mit der Trennung von der EU klären, bevor die EU Gespräche über die künftigen Beziehungen in Erwägung zieht. Dabei geht es um folgende Aspekte:

1) Schutz und Wahrung der Rechte der Bürgerinnen und Bürger, die vor dem Brexit ihr Recht auf Freizügigkeit genutzt haben,

2) Erfüllung der finanziellen Verpflichtungen, die das Vereinigte Königreich als Mitgliedstaat eingegangen ist, und

3) Achtung des Wortlauts und des Geistes des Karfreitagsabkommens und Wahrung des Friedens auf der irischen Insel sowie Erhaltung der Integrität des Binnenmarkts.

Weitere Informationen: Was sollte ich bei einem No-Deal-Szenario tun?

Für den Zeitraum unmittelbar nach einem Austritt ohne Abkommen hat die Kommission ein Call-Center für die Verwaltungen der Mitgliedstaaten eingerichtet, das ihnen raschen Zugang zu den Fachkenntnissen der Kommissionsdienststellen in Form eines direkten Kommunikationskanals eröffnet; dies dient außerdem der erforderlichen Koordinierung zwischen den nationalen Behörden.

EU-Bürger, die mehr darüber erfahren wollen, wie sie sich auf ein No-Deal-Szenario vorbereiten können, können sich mit allen Fragen an Europe Direct wenden. Rufen Sie unter der gebührenfreien Nummer 00 800 6 7 8 9 10 11 von überall in der EU und in jeder Amtssprache der EU an.

Links zum Thema:

Für EU-Bürgerinnen und -Bürger:

Für EU-Unternehmen:

  • eine Reihe von Informationen über Zölle und indirekte Steuern (einschließlich einer einfachen 5-Punkte-Checkliste) für Unternehmen
  • Informationen zur Landwirtschaft
  • Informationsblatt „Sieben Dinge, die Unternehmen in den 27 in der EU verbleibenden Mitgliedstaaten wissen müssen, um sich auf den Brexit vorzubereiten“

Quelle dieser Informationen: EU-Nachrichten der Vertretung der EU-Kommission in Deutschland.