17.09.2018 Straßburg – Das Europäische Parlament fordert EU-Vorschriften gegen Mobbing und sexuelle Belästigung, sei es am Arbeitsplatz oder online. Erfahren Sie mehr dazu in unserem Interview mit der Berichterstatterin des Parlaments, Pina Picierno (S&D), aus Italien.

Nach dem Weinstein-Skandal wurde dem Thema der sexuellen Belästigung mehr Aufmerksamkeit zuteil. Wie verbreitet ist das Problem in Europa und warum brauchen wir einen gemeinsamen Ansatz der EU?

Die #metoo-Bewegung hat uns gezeigt, dass das noch Problem größer ist, als man es sich vorgestellt hat, obwohl Daten auf das Ausmaß der Problematik hinweisen: 55 Prozent der Frauen in der EU sind schon einmal sexuell belästigt worden, und mehr als 20 Prozent der jungen Frauen (zwischen 18 und 29 Jahren) in der EU haben mindestens einmal Cyber-Stalking oder Cyber-Belästigung erlebt. In Anbetracht der Tatsache, dass die meisten Frauen und Mädchen Belästigungsfälle nicht melden, sind die tatsächlichen Zahlen sogar noch viel höher. Deshalb benötigen wir einen europäischen Ansatz. Wir brauchen eine klare Definition von Belästigung; ohne eine EU-weite Definition wird es sehr schwierig sein, dieses Problem zu beseitigen, da die Wahrnehmungen unterschiedlich sind. Sobald wir definiert haben, was (sexuelle) Belästigung ist und was nicht, können wir das Problem besser angehen und die Opfer unterstützen.

Sexuelle Belästigung wird oft nicht gemeldet. Warum ist das Ihrer Meinung nach so? Und welche Lösungen gibt es?

Meistens scheuen sich Frauen und Mädchen, Gewalt anzuprangern. Sie schämen sich vielleicht oder befürchten, dass ihnen die Schuld gegeben wird. Oder, da sexuelle Belästigung häufig am Arbeitsplatz stattfindet, haben sie Angst, ihren Job zu verlieren oder auf andere Weise benachteiligt zu werden. Eine Lösung besteht darin, die Ausbildung der Polizei- und Justizbehörden zu intensivieren und sichere und unabhängige Verfahren am Arbeitsplatz sowie an Universitäten und Schulen zu entwickeln, damit Frauen Fälle von Gewalt und Mobbing leichter melden können.

Das Internet, soziale Netzwerke und Foren eröffnen Möglichkeiten für Belästigung und Gewalt. Welche Maßnahmen schlagen Sie vor, um gegen Belästigung im Internet vorzugehen?

Wir brauchen eine klare Definition von öffentlichem Raum, um virtuelle Räume wie soziale Netzwerke, Blogs, Chats usw., in denen Belästigung und Stalking stattfinden, in die Regeln aufzunehmen. Das wird es den Behörden erleichtern, Täter zu verfolgen und Opfern zu helfen. Rachepornos, die Verbreitung von explizitem Material ohne die Zustimmung des Einzelnen, hat schreckliche psychologische Folgen, einschließlich Selbstmord, im Extremfall. Deshalb schlage ich vor, in den nächsten EU-Haushalt ein Pilotprojekt für einen leicht zugänglichen Online-Helpdesk aufzunehmen, um alle Mädchen und Frauen zu unterstützen, die Opfer von Online-Stalking, sexueller Belästigung oder Rachepornos sind.

Wir fordern die Europäische Kommission auch auf, die Definition von illegaler Hasspropaganda (online und offline) auf Frauenfeindlichkeit auszudehnen.

Schließlich fordern wir in dem Bericht auch eine gründliche, systematische Erhebung einschlägiger, nach Geschlecht und Alter aufgeschlüsselter vergleichbarer Daten über Belästigung, um einen klaren Überblick über die Entwicklung der Lage zu erhalten.

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