07.05.2019 Brüssel. Die europäische Wirtschaft dürfte 2019 im siebten Jahr in Folge wachsen, für Deutschland erwartet die Kommission 2019 ein Wachstum von 0,5 Prozent, für 2020 1,5 Prozent. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in der EU wird voraussichtlich um 1,4 Prozent und im Euroraum um 1,2 Prozent wachsen. Angesichts fortbestehender globaler Unsicherheiten dürfte die europäische Wirtschaft von binnenwirtschaftlichen Kräften getragen werden. Das zeigt die aktuelle Frühjahrsprognose, die die Europäische Kommission heute (Dienstag) veröffentlicht hat.

Die jüngste Verlangsamung des Weltwirtschaftswachstums und des Welthandels, die mit hoher handelspolitischer Unsicherheit einhergeht, drückt die Aussichten für das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in den Jahren 2019 und 2020. Eine Rolle spielt auch die anhaltende Schwäche des verarbeitenden Gewerbes, insbesondere in Ländern mit Problemen in der Automobilindustrie.

Valdis Dombrovskis, Vizepräsident der EU-Kommission, erklärte: „Die europäische Wirtschaft erweist sich angesichts ungünstigerer außenwirtschaftlicher Bedingungen und handelspolitischer Spannungen als widerstandsfähig. Das Wachstum dürfte sich in allen EU-Mitgliedstaaten fortsetzen und im nächsten Jahr beleben, was durch eine robuste Binnennachfrage, stetige Beschäftigungszuwächse und niedrige Finanzierungskosten unterstützt wird. Doch der Ausblick bleibt mit deutlichen Abwärtsrisiken behaftet. In der Außenwirtschaft wären dies vor allem eine weitere Zuspitzung der Handelskonflikte und Schwächen in aufstrebenden Märkten, insbesondere China. In Europa sollten wir die Möglichkeit eines ‚No-Deal-Brexit‘, politische Unsicherheit und die Gefahr, dass die Verquickung zwischen Banken und Staaten erneut zum Problem wird, aufmerksam im Blick behalten.“

Pierre Moscovici‚ EU-Kommissar für Wirtschafts- und Finanzangelegenheiten, sagte: „Die europäische Wirtschaft wird 2019 und 2020 weiter wachsen. Die Wachstumsraten werden in allen Mitgliedstaaten positiv bleiben, und auch an der Beschäftigungsfront rechnen wir weiterhin mit guten Nachrichten und steigenden Löhnen. Die europäische Wirtschaft bietet dem ungünstigeren weltwirtschaftlichen Umfeld und der fortbestehenden Unsicherheit also die Stirn. Allerdings sollten wir darauf vorbereitet sein, die Wirtschaft über weitere wachstumsfördernde Reformen hinaus stärker zu unterstützen, wenn es nötig ist. Vor allem müssen wir einen Rückfall in Protektionismus verhindern, der die sozialen und wirtschaftlichen Spannungen in unserer Gesellschaft nur noch verschärfen würde.“

BIP-Verlangsamung erreicht 2019 die Talsohle

Da Welthandel und Weltwirtschaftswachstum sich im Vergleich zum lebhaften Tempo von 2017 in diesem und im nächsten Jahr verlangsamen dürften, wird das Wirtschaftswachstum in Europa ausschließlich von der Binnenwirtschaft getragen. In Europa haben gegenwärtig mehr Menschen eine Arbeit als je zuvor, und das Beschäftigungswachstum dürfte sich fortsetzen, wenn auch in geringerem Tempo. Zusammen mit steigenden Löhnen, niedriger Inflation, günstigen Finanzierungsbedingungen und unterstützenden Fiskalmaßnahmen in einigen Mitgliedstaaten dürfte dies die Binnennachfrage beleben.

Im Ergebnis dürfte das BIP in diesem Jahr in der EU um 1,4 Prozent und im Euroraum um 1,2 Prozent wachsen. 2020 dürften widrige binnenwirtschaftliche Faktoren verebben und die Wirtschaftstätigkeit außerhalb der EU wieder an Schwung gewinnen, was durch eine Lockerung der weltweiten Finanzierungsbedingungen und politische Impulse in einigen aufstrebenden Volkswirtschaften unterstützt werden dürfte. Das BIP-Wachstum wird der Prognose zufolge im nächsten Jahr leicht anziehen und in der EU 1,6 Prozent und im Euroraum 1,5 Prozent erreichen. Auf die Zahlen für 2020 wirkt sich auch positiv aus, dass das Jahr mehr Arbeitstage aufweist.

Arbeitslosigkeit sinkt weiter

Obwohl sich das Wachstum gegen Ende 2018 verlangsamte, hat sich die Arbeitsmarktlage weiter verbessert. Auch wenn die Arbeitslosigkeit in einigen Mitgliedstaaten noch immer zu hoch ist, war sie im März 2019 mit 6,4 Prozent in der EU so niedrig wie nie zuvor seit Beginn der monatlichen Datenreihen zur Arbeitslosigkeit im Januar 2000. Im Euroraum ist die Arbeitslosigkeit aktuell so niedrig wie seit 2008 nicht mehr.

Es wird erwartet, dass sich das Beschäftigungswachstum in den nächsten beiden Jahren verlangsamen wird, da das moderatere Wirtschaftswachstum seinen Tribut fordert und befristete fiskalische Maßnahmen in einigen Mitgliedstaaten allmählich auslaufen. In der EU dürfte die Arbeitslosenquote 2019 weiter zurückgehen und 2020 auf 6,2 Prozent sinken. Im Euroraum wird sich die Arbeitslosenquote der Prognose zufolge 2019 auf 7,7 Prozent und 2020 auf 7,3 Prozent verringern und damit niedriger sein als bei Einsetzen der Krise im Jahr 2007.

Weiterhin niedrige Inflation

Die Inflation dürfte in der EU in diesem Jahr auf 1,6 Prozent sinken, bevor sie 2020 auf 1,7 Prozent anzieht. Im Euroraum ist die Teuerungsrate von 1,9 Prozent im letzten Quartal 2018 auf 1,4 Prozent im ersten Quartal 2019 zurückgegangen, was auf den langsameren Anstieg der Energiepreise zurückzuführen war. Da sich der Energiepreisanstieg in den kommenden Quartalen weiter abschwächen dürfte und es kaum Anzeichen dafür gibt, dass das höhere Lohnwachstum den fundamentalen Preisauftrieb befeuert hat, wird für den Euroraum sowohl für 2019 als auch für 2020 mit einer Inflationsrate (harmonisierter Verbraucherpreisindex) von 1,4 Prozent gerechnet.

Öffentliche Verschuldung dürfte trotz geringeren Wachstums weiter sinken

Die öffentliche Schuldenquote wird der Prognose zufolge 2019 und 2020 in den meisten Mitgliedstaaten rückläufig sein, da die Defizite niedrig bleiben und das nominale BIP-Wachstum weiterhin über dem durchschnittlichen Zinssatz für ausstehende Schuldtitel liegt. Unter der Annahme einer unveränderten Politik wird prognostiziert, dass sich die öffentliche Schuldenquote für die EU von 81,5 Prozent des BIP 2018 auf 80,2 Prozent 2019 und 78,8 Prozent 2020 vermindert. Die Schuldenquote für den Euroraum insgesamt dürfte von 87,1 Prozent im Jahr 2018 auf 85,8 Prozent im Jahr 2019 und 84,3 Prozent im Jahr 2020 sinken.

Das gesamtstaatliche Defizit für die EU dürfte sich von 0,6 Prozent des BIP im Jahr 2018 auf 1 Prozent in den Jahren 2019 und 2020 erhöhen. Für den Euroraum wird ebenfalls damit gerechnet, dass sich das Defizit von 0,5 Prozent des BIP im Jahr 2018 auf 0,9 Prozent im Jahr 2019 erhöht und 2020 unter der Annahme einer unveränderten Politik auf diesem Stand verharrt. Der diesjährige Anstieg ist vor allem auf ein langsameres BIP-Wachstum und eine expansive Finanzpolitik einiger Mitgliedstaaten zurückzuführen.

Risiken für den Ausblick weiterhin ausgeprägt

Der Ausblick bleibt mit ausgeprägten Abwärtsrisiken behaftet. In der Weltwirtschaft ist das Risiko protektionistischer Maßnahmen nach wir vor hoch, und die aktuelle Verlangsamung des globalen BIP-Wachstums und des Welthandels könnte länger anhalten als erwartet, insbesondere falls das Wachstum in China enttäuschen sollte. Zu den Risiken in Europa gehören ein „No-Deal-Brexit“ und die Möglichkeit, dass sich die vorübergehenden Verwerfungen, die derzeit das verarbeitende Gewerbe belasten, länger hinziehen könnten. Außerdem besteht das Risiko, dass größere politische Unsicherheit und weniger wachstumsfreundliche Maßnahmen zu einem Rückzug der privaten Investitionen führen. Auf der positiven Seite könnten sich der private Verbrauch und die privaten Investitionen in der EU robuster zeigen als erwartet, wobei es insbesondere darauf ankommt, wie sensibel das Vertrauen der Unternehmer und Verbraucher auf Unsicherheit und binnenwirtschaftlichen Gegenwind reagiert. Positive Zusatzeffekte könnten sich einstellen, wenn Länder mit haushaltspolitischem Spielraum stärkere fiskalpolitische Maßnahmen ergreifen als angenommen und wachstumsfördernde Reformen hinzukommen.

Rein technische Annahmen für 2019 beim Vereinigten Königreich

Vor dem Hintergrund des geplanten EU-Austritts des Vereinigten Königreichs beruhen die Prognosen für 2019 und 2020 auf der rein technischen Annahme, dass die Handelsströme zwischen der EU-27 und dem Vereinigten Königreich unverändert bleiben. Dies dient einzig und allein Prognosezwecken und lässt das Verfahren nach Artikel 50 unberührt.

Hintergrund

Die Prognose basiert auf einer Reihe technischer Annahmen für Wechselkurse, Zinssätze und Rohstoffpreise mit Stichtag 24. April 2019. Bei allen anderen herangezogenen Daten, auch den Annahmen zu staatlichen Maßnahmen, wurden in dieser Prognose Informationen bis einschließlich 23. April berücksichtigt. Den Projektionen liegt die Annahme einer unveränderten Politik zugrunde, es sei denn, es wurden glaubwürdig konkrete politische Maßnahmen angekündigt. Die nächste Prognose der Europäischen Kommission wird die Sommerprognose 2019 mit aktualisierten BIP- und Inflationsprognosen sein.

Links zum Thema:

Frühjahrsprognose 2019: Wachstum setzt sich in moderaterem Tempo fort
Presseinformation der EU-Kommission vom 07.05.2019.

Die Prognose in voller Länge: Frühjahrsprognose 2019

Factsheet: Fortschritte bei der Wirtschaftslage

Quelle dieser Informationen: EU-Nachrichten der Vertretung der EU-Kommission in Deutschland.