Ministerin Honé: „Der Brexit wird uns noch lange Zeit beschäftigen“ © Niedersächsisches Ministerium für Bundes- und Europaangelegenheiten und Regionale Entwicklung

PresseInformation des Niedersächsischen Ministeriums für Bundes- und Europaangelegenheiten und Regionale Entwicklung vom 29.12.2021.

Hannover. Knapp ein Jahr nach dem Inkrafttreten des Handels- und Kooperationsabkommens zwischen der Europäischen Union (EU) und dem Vereinigten Königreich (VK) hat Niedersachsens Europaministerin Birgit Honé eine erste Bilanz gezogen: „Wir haben 2020 zwar einen ungeregelten Brexit verhindern können. Doch viele Dinge sind nach wie vor unzureichend oder gar nicht geregelt, und das belastet die Wirtschaft und vor allem das Leben vieler Menschen. Wir stehen also nicht am Ende, sondern am Anfang eines langen Weges zu neuen europäisch-britischen Beziehungen. Der Brexit ist alles andere als erledigt, er wird uns noch lange Zeit beschäftigen“, sagte Honé.

Die Ministerin betonte, dass das britische Ausstiegsvotum von 2016 zu respektieren sei. Gleichwohl sehe sie den Ausstieg des VK aus der EU weiter kritisch: „Ein Jahr Binnenmarktausstieg zeigt: Der Brexit ist schlecht für uns alle. Es gibt keine Gewinner, stattdessen aber viele Verlierer – und das nicht nur in der Wirtschaft auf beiden Seiten des Ärmelkanals“, sagte Honé. Dass die EU in den Brexit-Verhandlungen Einigkeit gezeigt habe, wertet die Ministerin hingegen als positiv.

Das VK hatte bereits 2020 die EU verlassen, war aber erst zum 1. Januar 2021 aus Binnenmarkt und Zollunion ausgestiegen. Zwar regelt das an Heiligabend 2020 ausgehandelte Handelsabkommen die Wirtschaftsbeziehungen, doch viele Fragen sind noch immer offen. Zudem gibt es weiter Diskussionen um die Zollgrenze zum EU-Staat Irland, die aufgrund der sensiblen Grenze zu Nordirland faktisch in der Irischen See verlaufen soll. Honé mahnte die Regierung in London, ihre Zusagen beim Irland-/Nordirland-Protokoll einzuhalten: „Wenn sich die britische Seite in Sachen Irland/Nordirland nicht bewegt, wird die EU Gegenmaßnahmen ergreifen müssen“, warnte sie.

Die Handelsprobleme zeigen sich auch bei einer jüngsten Befragung des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK). Demnach haben deutschen Firmen in Großbritannien überdurchschnittlich oft mit Lieferkettenproblemen, fehlendem Personal und Rechtsunsicherheiten zu kämpfen und klagen über Diskriminierung. Dies deckt sich mit einem Stimmungsbild der IHK Nord, die im Sommer Klagen norddeutscher Unternehmen über schleppende Geschäfte mit dem VK zusammengetragen hatte.

Die Handelsbeziehungen sind entsprechend weiter rückläufig. Dieses Jahr könnte das VK erstmals seit 1950 aus der Top Ten der deutschen Handelspartner fallen. Der Rückgang sei nicht allein auf Corona, sondern auch auf den Brexit zurückzuführen, betonte Honé: „Seit Jahren geht das Handelsvolumen stetig zurück. Allein Niedersachsen verzeichnete binnen fünf Jahren einen Exportrückgang um 13,8 Prozent. Corona verschärft hier nur einen sowieso vorhandenen Trend“, erklärte die Ministerin.

Auch andere Regelungen sind Honé zufolge noch immer unzureichend: So habe der Brexit die Quotenverhandlungen in der Fischerei weiter verkompliziert, zumal mit einem Konflikt zwischen der EU und Norwegen um Kabeljauquoten auch indirekte Folgen hinzugekommen seien. Die Zukunft werde damit auch für die niedersächsische Fischereiindustrie immer weniger planbar, sagte Honé. „Wir haben uns erfolgreich für Entschädigungen aus der Brexit-Anpassungsreserve für unsere Fischereibetriebe stark gemacht. Doch die Fischer wollen natürlich lieber ihre Arbeit machen“, sagte die Ministerin. Honé kündigte an, sich weiterhin für die Belange der Fischerei einzusetzen. So hat die Ministerin die Europäische Kommission kontaktiert und darum gebeten, sich die Sorgen der niedersächsischen Fischer vor Ort anzuhören – und hierzu bereits sehr positive Signale erhalten.

Sorgen bereiten der Ministerin die Hindernisse im Alltag vieler Menschen: So fehlten nach wie vor Regeln zu Dienstleistungen und zur Anerkennung von Qualifikationen. Zahlreiche Berufstätige aus Handwerk, Kunst und dem Sport seien in ihrer Berufsausübung eingeschränkt. Wegen des Austritts des VK aus dem Erasmus-Programm sei die Zahl Studierender aus Deutschland in Großbritannien stark rückläufig. „Hier müssen wir gegensteuern. Gerade die junge Generation auf beiden Seiten des Ärmelkanals sollte nicht zu sehr unter dem Brexit leiden müssen“, sagte Honé. „Der Austausch der jungen Menschen untereinander ist von immenser Bedeutung. Denn sie sind es, die die neuen europäisch-britischen Beziehungen mit Leben füllen müssen.“

Nach einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Opinium sind sogar 26 Prozent der einstigen Brexit-Befürworterinnen und -Befürworter der Auffassung, dass der Brexit schlimmer gelaufen sei als erwartet. Honé: „Der Brexit wird von immer mehr Britinnen und Briten kritisch gesehen. Ich hoffe, dass die Regierung in London diese Signale wahrnimmt und entsprechend handelt. Dann könnten sich auch neue Potenziale für eine engere Kooperation in beidseitigem Interesse ergeben.“

Die Ministerin kündigte an, den Dialog zwischen den Akteurinnen und Akteuren in Niedersachsen, dem Bund und dem VK weiterzuführen. Das Europaministerium vertritt die Interessen Niedersachsens unter anderem im Bundesrat, der Europaministerkonferenz und der Bund-Länder-AG Brexit. Zudem stimmt es sich regelmäßig in einem Runden Tisch auf Landesebene mit den wichtigsten Stakeholdern über den Brexit und seine Folgen ab. „Wir werden uns weiter für ein gutes Verhältnis mit unseren Nachbarinnen und Nachbarn stark machen. Das gilt nicht nur politisch auf der Europa- und auf Bundesebene. Vielmehr wollen wir auch das Gespräch mit den Betroffenen führen und auf allen Ebenen nach guten Lösungen suchen“, sagte Honé.