PresseInformation des Niedersächsischen Ministeriums für Bundes- und Europaangelegenheiten und Regionale Entwicklung vom 16.09.2020.
Rede von Ministerin Birgit Honé im Niedersächsischen Landtag am Mittwoch, den 16. September 2020 zu TOP 32
„Grundwerte der Europäischen Union achten und schützen – für wirksamere Maßnahmen gegen Verstöße“
Entschließungsantrag der Fraktionen SPD und CDU (Drs. 18/7358)
(Es gilt das gesprochene Wort)
Frau Präsidentin,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
wie sähe unsere Europäische Union heute aus, wenn sich ihre Menschen in der Vergangenheit nicht für Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Gleichheit eingesetzt hätten?
Ich bin mir sicher, dann hätte es am 1. Mai 2004 keine historische Osterweiterung gegeben. Unser damaliger deutscher Außenminister Joschka Fischer und sein polnischer Amtskollege (Włodzimierz Cimoszewicz) hätten nicht die Grenze zwischen Frankfurt (Oder) und Słubice geöffnet und ermöglicht, dass noch in derselben Nacht Hunderte die Oderbrücke zwischen Deutschland und Polen in beide Richtungen überquerten.
Die Europäische Union ist nicht ein bloßer wirtschaftlicher Zweckverbund. Sie ist viel mehr. Sie ist eine Wertegemeinschaft, auf deren Grundlage ihre Mitgliedstaaten ein gemeinsames Fundament aufgebaut haben und für eine bessere Zukunft aller zusammenarbeiten. Wir alle können zu Recht stolz auf diese Errungenschaft sein.
Unsere gemeinsamen Grundwerte können in ihrer Bedeutung gar nicht stark genug hervorgehoben werden. Ohne sie funktioniert die Union nicht, ohne sie hat die Union keine Identität, ohne sie hat die Union keine Zukunft. Nicht umsonst stehen sie im Vertrag der Europäischen Union gleich zu Beginn in Artikel 2.
Wir alle wissen, dass unsere Grundwerte derzeit „unter Beschuss“ stehen. In Polen wird seit Jahren systematisch die Unabhängigkeit der Gerichte geschwächt und damit die Rechtsstaatlichkeit unterminiert. Ungarn wird von der NGO Freedom House mittlerweile nicht mehr als Demokratie gewertet. Vor 10 Jahren war Ungarn hier noch ein Vorzeigeland.
Wenn ich noch den Umgang Ungarns mit Minderheiten und die dortige Situation von Migrantinnen und Migranten sowie geflüchteten Menschen sowie die von einigen Kommunen in Polen eingerichteten „LGBTQ-freien Zonen“ erwähne, so sollten allen klar sein: Wir sind Zeitzeugen einer besorgniserregenden Entwicklung.
Der vorliegende Entschließungsantrag – das möchte ich betonen – bezieht sich auf uns alle. Wir alle stehen in der Pflicht, unsere gemeinsamen Werte einzuhalten und wir alle stehen in der Verantwortung, unsere Werte zu verteidigen.
Ich unterstütze den Antrag daher in seiner Zielsetzung, „wirksamere Maßnahmen gegen Verstöße“ einzufordern.
Wir dürften uns einig sein, dass die laufenden Artikel 7-Verfahren und die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs im Rahmen verschiedener Vertragsverletzungsverfahren die Entwicklungen insbesondere in Polen und Ungarn nicht wirklich effektiv aufgehalten haben.
Die letzten Jahre haben leider gezeigt: Die bestehenden Möglichkeiten, um Verstößen gegen unsere Grundwerte entgegenzutreten, reichen nicht aus.
Es geht nicht darum, Verstöße nur stärker zu sanktionieren. Vielmehr ist der Dialog wichtiger denn je. Kritik muss formuliert und adressiert werden, auf Augenhöhe und auf Grundlage partnerschaftlicher Zusammenarbeit. Deswegen begrüße ich sehr, dass auch der Dialog mit unseren niedersächsischen Partnerregionen als Teil der Lösung gesehen wird.
Es muss zudem darum gehen, diejenige Kräfte zu stärken und zu unterstützen, die sich für unsere gemeinsamen Grundwerte einsetzen.
So müssen die vielen Menschen in Polen, die sich für die Unabhängigkeit ihrer Justiz oder für die gleiche Rechte aller einsetzen, spüren und sehen, dass wir auf ihrer Seite stehen. Auch das ist Ziel und Inhalt des vorliegenden Antrags.
Auch die Forderung, ein unabhängiges Expertinnen- und Expertengremium einzurichten, unterstütze ich. Denn nur so kann gewährleistet werden, dass alle Mitgliedstaaten jetzt und in Zukunft nach gleichen Grundsätzen und Maßstäben behandelt werden.
Gleichzeitig ist aber auch klar: Systematische und schwerwiegende Verletzungen unserer Grundwerte müssen spürbare Folgen haben. Denn hier handeln die betroffenen Mitgliedstaaten außerhalb unserer vereinbarten Grundlagen der Zusammenarbeit. Darum sollten solche Verstöße auch finanzielle Folgen haben. Vor wenigen Stunden hat Kommissionpräsidentin von der Leyen ihre Rede zur Lage der Union im Europäischen Parlament gehalten. Sie hat darin der Rechtsstaatlichkeit die „höchste Bedeutung“ zuerkannt.
Die Verknüpfung der Rechtsstaatlichkeit mit den Finanzmitteln aus dem EU-Haushalt und dem Programm NextGenerationEU sei nicht verhandelbar. Die EU-Mittel müssen wirksam gegen Betrug, Korruption und Interessenkonflikte beschützt werden.
Deswegen unterstütze ich zudem auch die Forderung, für künftige regionale Kooperationen die Einhaltung der EU-Grundwerte als Kriterium aufzunehmen, egal aus welchem Mitgliedstaat der Kooperationspartner kommt.
Der vorliegende Entschließungsantrag ist ein wichtiges Signal unseres Landes Niedersachsen zum Schutz unserer gemeinsamen europäischen Grundwerte.
Vielen Dank!