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Sitzung des Bundesrates – Rede von Birgit Honé, Ministerin für Bundes- und Europaangelegenheiten und Regionale Entwicklung zu „Next Generation EU“ und zum MFR 2021-2027 © Niedersächsisches Ministerium für Bundes- und Europaangelegenheiten und Regionale Entwicklung

PresseInformation des Niedersächsischen Ministeriums für Bundes- und Europaangelegenheiten und Regionale Entwicklung vom 03.07.2020.

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

Wir leben in dramatischen Zeiten. Die Corona-Pandemie stellt die Europäische Union und ihre 27 Mitgliedstaaten vor eine bisher ungekannte Herausforderung. Aus einer Krise der öffentlichen Gesundheit hat sich eine massive Wirtschaftskrise entwickelt. Es droht der dauerhafte Verlust wirtschaftlicher Wertschöpfung und von Millionen von Arbeitsplätzen.

Laut Frühjahrsprognose der EU-Kommission ging das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der EU im zweiten Quartal 2020 im Vergleich zum Vorjahresquartal um rund 15 Prozent zurück. Insgesamt wird erwartet, dass die EU-Wirtschaft 2020 um über 7 Prozent schrumpfen wird. Eine zweite Welle der Pandemie könnte in diesem Jahr sogar zu einem Rückgang des BIP um bis zu 16 Prozent führen.[1]

Die Auswirkungen und das Potenzial für eine Erholung sind in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich. Zwar hat jeder Mitgliedstaat seine Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie Unternehmen so weit wie möglich unterstützt, doch nicht alle können dies in gleichem Maße tun. Dies birgt die Gefahr einer unausgewogenen Erholung, ungleicher Wettbewerbsbedingungen und zunehmender Ungleichheiten.

Wir sind solidarisch mit den am stärksten betroffenen Mitgliedstaaten und den dort lebenden Bürgerinnen und Bürgern. Hierfür brauchen wir einen starken europäischen Binnenmarkt und Investitionen in gemeinsame europäische Prioritäten. Jetzt gilt: Die Schäden, die entstanden sind, müssen wir gemeinsam beheben und Perspektiven für die nächste Generation eröffnen.

Die Europäische Kommission hat einige wichtige Maßnahmen auf den Weg gebracht, die wir unterstützen. Dazu zählt das mit 750 Milliarden Euro dotierte neue Instrument zur Konjunkturbelebung „Next Generation EU“. Es ist langfristig in den EU-Haushalt eingebettet und steht auf drei Säulen:

1. Unterstützung der Mitgliedstaaten bei Investitionen und Reformen,
2. Ankurbelung der EU-Wirtschaft durch Anreize für private Investitionen,
3. Lehren aus der Krise ziehen, zum Beispiel im Bereich der Gesundheitsprävention und das bedeutet, Stärkung der Resilienz

Der Aufbauplan für Europa muss sich auf einen leistungsstarken und modernen EU-Haushalt stützen können. Der überarbeitete Vorschlag für den Mehrjährigen Finanzrahmen für den Zeitraum 2021-2027 soll mit einem Volumen von 1.100 Milliarden Euro ausgestattet sein.

Anrede,

Es ist wichtig, dass der Wiederaufbau nicht allein den einzelnen Ländern überlassen bleibt, sondern er sollte möglichst vollständig, gleichmäßig und gerecht verlaufen. Eine wirtschaftliche Schieflage gab es schon vor der Pandemie in Europa, und wir sollten alles dafür tun, damit der Graben nicht noch tiefer wird. Das stärkt nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit und die Krisenresilienz, sondern auch die Position Europas als globaler Akteur.

In jeder Krise liegt auch eine Chance: Die EU kann den Wiederaufbau nutzen, um die Digitalisierung voranzutreiben und gleichzeitig die Weichen für eine nachhaltige, ressourcenschonende Industrie- und Wirtschaftspolitik zu stellen. Eine Stärkung der erneuerbaren Energien, der konsequente Ausbau des grünen Wasserstoffs sind hier Beispiele.

Anrede,

Harte Verhandlungen über den Mehrjährigen Finanzrahmen ab 2021 und das Wiederaufbauprogramm stehen bevor. Da bin ich mir sicher. Von allen Organen und Mitgliedstaaten der EU wird eine hohe Einigungs- und Kompromissbereitschaft gefordert, um den knappen Zeitplan bis Ende des Jahres einhalten zu können.

Allerdings sind sich die Mitgliedstaaten in dem Ziel grundsätzlich einig: Es braucht dringend eine finanzielle Abstimmung, um den mittel- bis langfristigen ökonomischen und sozialen Folgen der Pandemie zu begegnen.

Der Einigungsdruck ist also bei allen Mitgliedstaaten ohne Zweifel vorhanden. Zentrale Streitpunkte in den Verhandlungen werden der Gesamtumfang, die Art der Finanzierung und Mittelverwendung und der Verteilungsschlüssel sein.

Anrede,

Ich begrüße es, dass Deutschland deutlich mehr Finanzmittel für Innovation und Forschung, den sozialen Zusammenhalt, Klimaschutz und für die Außen- und Sicherheitspolitik zur Verfügung stellen wird.

Dies ist zwingend notwendig, da der Wegfall Großbritanniens als Nettozahler eine Lücke reißen wird und es viele notwendige Maßnahmen zur Modernisierung des EU-Raums gibt, die auf den Weg gebracht werden müssen.

Welche konkreten Auswirkungen die Vorschläge auf die einzelnen Bundesländer haben werden, lässt sich derzeit zwar noch nicht genau bestimmen. Aber die vorgeschlagene weitere Kürzung der EFRE-Mittel und insbesondere des ESF um zwei Prozentpunkte gegenüber dem Vorschlag von 2018 ist aus meiner Sicht zu kritisieren. Da hilft es auch nur wenig, wenn temporär bis 2023 eine Erhöhung der Mittel für die Kohäsionspolitik geplant ist.

Die Kohäsionspolitik muss grundsätzlich in langfristige Planungen eingebettet werden.

Wichtig ist, dass eine möglichst rasche Einigung über den Mehrjährigen Finanzrahmen gelingt, sodass wir Planungssicherheit für die kommende Förderperiode erhalten.

Anrede,

Abschließend möchte ich auf einen Aspekt eingehen, der mir in der aktuellen Debatte sehr wichtig ist. Die Europäische Union ist nicht in erster Linie ein Binnenmarkt, sondern vor allem und zuerst eine Rechts- und Wertegemeinschaft, und diese Werte verpflichten uns alle.

Ich unterstütze die Europäische Kommission in ihrer Ansicht, dass der Wiederaufbau auf dem Fundament der Grundrechte und der uneingeschränkten Achtung des Rechtsstaatsprinzips erfolgen soll.

Wie wir dem Programm der deutschen EU-Ratspräsidentschaft entnehmen können, wird sich Deutschland für weitere Instrumente zur Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit einsetzen. Das ist meiner Ansicht nach dringend notwendig, denn Verstöße gegen elementare rechtsstaatliche Prinzipien in einer Reihe von EU-Mitgliedstaaten können wir nicht hinnehmen. Wer gegen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit verstößt, kann nicht ohne Sanktionen aus dem EU-Haushalt finanziert werden. Das muss finanzielle Konsequenzen haben.

Anrede,

Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft wird in den kommenden sechs Monaten eine wichtige Rolle als Mittler und Verhandlungsführer einnehmen müssen. Mit Blick auf den Mehrjährigen Finanzrahmen hoffe ich, dass eine rasche Einigung der europäischen Institutionen gelingen wird. Für die anstehenden Verhandlungen über den MFR sowie für die deutsche Ratspräsidentschaft insgesamt wünsche ich der Bundesregierung eine glückliche Hand.

Vielen Dank.

[1] Quelle: EU-KOM in der Mitteilung COM(2020) 456 und COM(2020) 443