Coronavirus: Kommission gibt Mitgliedstaaten Orientierungshilfe zur Anwendung von Asylrecht © Europäische Union, 2019, Quelle: EU-Kommission - Audiovisueller Dienst, Fotograf*in: Lukasz Kobus

17.04.2020 Brüssel. Die Corona-Pandemie hat auch direkte Auswirkungen auf die Art und Weise, wie die Asyl- und Rückführungsvorschriften der EU umgesetzt werden, und hat zum Abbruch der Neuansiedlungsmaßnahmen geführt. Die EU-Kommission hat deshalb gestern (Donnerstag) Leitlinien zur Umsetzung der einschlägigen EU-Bestimmungen vorgelegt. „Zur Unterstützung der Mitgliedstaaten stellen wir heute Leitlinien dazu bereit, wie die in den EU-Vorschriften vorgesehene Flexibilität genutzt werden kann, um die Kontinuität der Verfahren so weit wie möglich sicherzustellen und gleichzeitig den Schutz der Gesundheit und der Rechte der Menschen in vollem Umfang zu gewährleisten. Auch wenn sich unsere Lebensweise in den vergangenen Wochen drastisch verändert hat, gilt dies nicht für unsere Werte und Grundsätze“, so Kommissionsvizepräsident Margaritis Schinas.

Die Kommission entspricht mit der Erarbeitung der Leitlinien einem Ersuchen der Mitgliedstaaten um Orientierungshilfe hinsichtlich der Möglichkeiten, mit denen die Kontinuität der Verfahren und zumindest die Achtung der Grundrechte gewährleistet werden kann. Die Leitlinien wurden mit der Unterstützung des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen (EASO) und der Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache (Frontex) sowie in Zusammenarbeit mit den nationalen Behörden erstellt.

EU-Innenkommissarin Ylva Johansson betonte: „Auch in einer gesundheitlichen Notlage müssen wir die Achtung der individuellen Grundrechte gewährleisten. Die Kommission ist sich voll und ganz der Schwierigkeiten bewusst, mit denen die Mitgliedstaaten in der derzeitigen Situation konfrontiert sind. In den Leitlinien werden praktische Lösungen empfohlen, die den legitimen Anliegen und Zwängen der Mitgliedstaaten Rechnung tragen. Alle Maßnahmen im Bereich Asyl, Neuansiedlung und Rückkehr sollten auch den von den Mitgliedstaaten eingeführten Gesundheitsschutzmaßnahmen zur Verhinderung der Ausbreitung des Coronavirus in vollem Umfang Rechnung tragen. Schutzbedürftige Personen, insbesondere unbegleiteter Minderjähriger, und Familien sollten besondere Fürsorge und Aufmerksamkeit erhalten.“

Asylverfahren

Die Gesundheitsmaßnahmen zur Begrenzung der sozialen Kontakte zwischen Asylpersonal und Antragstellern haben auch Folgen für die Asylverfahren. Hier sollte die in den EU-Vorschriften vorgesehene Flexibilität genutzt werden:

  • Die Registrierung und Bearbeitung von Anträgen sollte fortgesetzt werden. Allerdings sollte bei den Fristen und der Dauer der Bearbeitung und Prüfung von Anträgen ein Höchstmaß an Flexibilität gestattet sein. Verzögerungen bei der Registrierung sollten jedoch nicht bedeuten, dass für Antragsteller keine Aufnahmebedingungen vorgesehen werden.
  • Persönliche Befragungen können mit besonderen Vorkehrungen durchgeführt werden, z.B. auf Distanz per Videokonferenz oder gegebenenfalls sogar unterlassen werden.
  • Dublin-Verordnung: Eine enge Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten ist von grundlegender Bedeutung für das reibungslose Funktionieren des Dublin-Systems Die Kommission fordert alle Mitgliedstaaten auf, die Überstellung von Antragstellern wieder aufzunehmen, sobald dies angesichts der Entwicklung der Lage praktisch möglich ist. Bevor eine Überstellung vorgenommen wird, sollten die Mitgliedstaaten jeweils die Corona-Situation und den damit einhergehenden starken Druck auf das Gesundheitssystem in dem zuständigen Mitgliedstaat berücksichtigen. Können Überstellungen an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat nicht innerhalb der geltenden Frist durchgeführt werden, können die Mitgliedstaaten dennoch bilateral vereinbaren, die Überstellung zu einem späteren Zeitpunkt durchzuführen, was beispielsweise im Falle unbegleiteter Minderjährige und der Familienzusammenführung empfohlen wird. Die Kommission und das EASO sind bereit, die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten zu erleichtern.
  • Aufnahmebedingungen: Quarantänemaßnahmen und Isolierungsmaßnahmen müssen angemessen, verhältnismäßig und nichtdiskriminierend sein. Antragsteller müssen die erforderliche medizinische Versorgung erhalten. In Haft genommene Antragsteller sollten weiterhin Zugang zum Freien haben, und etwaige Einschränkungen, wie etwa eine Begrenzung der Besucherzahlen, müssen ihnen sorgfältig erläutert werden.
  • Abnahme von Fingerabdrücken: In Fällen, in denen es aufgrund von Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit nicht möglich ist, die Fingerabdrücke eines Antragstellers abzunehmen, sollten die Mitgliedstaaten im Einklang mit der Eurodac-Verordnung so bald wie möglich, spätestens jedoch 48 Stunden nach Wegfall dieser gesundheitlichen Gründe, Fingerabdrücke abnehmen.

Neuansiedlung

Der COVID-19-Ausbruch hat zu schwerwiegenden Beeinträchtigungen der Neuansiedlungsmaßnahmen geführt: Die Mitgliedstaaten, der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) und die Internationale Organisation für Migration (IOM) haben Neuansiedlungsmaßnahmen vorübergehend ausgesetzt. Die vorbereitenden Maßnahmen sollten so weit wie möglich fortgesetzt werden, damit die Neuansiedlungsmaßnahmen zu einem späteren Zeitpunkt reibungslos wieder aufgenommen werden können. Die Kommission wird die Mitgliedstaaten weiterhin bei der Erfüllung ihrer Zusagen für 2020 unterstützen und Flexibilität in Bezug auf den Durchführungszeitraum gewähren.

Rückkehr/Rückführung

Weltweite Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie haben erheblichen Einfluss auf Rückkehr und Rückführungen. Trotz der vorübergehenden Unterbrechung aufgrund des COVID-19-Ausbruchs sollte die Arbeit an Verfahren zur Rückführung in Drittländer fortgesetzt werden, insbesondere in Bezug auf Tätigkeiten, die trotz restriktiver Maßnahmen durchgeführt werden können, um eine reibungslose Wiederaufnahme der Rückführungsaktionen vorzubereiten. Mehr denn je sollte der freiwilligen Rückkehr Vorrang eingeräumt werden, auch weil sie mit einem geringeren Gesundheits- und Sicherheitsrisiko verbunden ist. Frontex ist bereit, die Mitgliedstaaten bei der Organisation von Rückführungen auf dem Luftweg zu unterstützen. Eine enge Zusammenarbeit und Kontakte mit Drittländern bei der Identifizierung, Dokumentation und Rückführung ihrer Staatsangehörigen sollten ebenfalls aufrechterhalten werden. Was die Abschiebungshaft anbelangt, so sollte aus den vorübergehenden Beschränkungen während der Pandemie nicht automatisch geschlossen werden, dass in allen Fällen keine hinreichende Aussicht auf Abschiebung mehr besteht. Die Kommission fordert die Mitgliedstaaten auf, jeden Fall einzeln zu prüfen, um festzustellen, ob noch eine hinreichende Aussicht auf Abschiebung besteht, wenn sie über geeignete Maßnahmen entscheiden.

Hintergrund

Die Kommission forderte die Staats- und Regierungschefs am 16. März 2020 auf, eine vorübergehende Beschränkung von nicht unbedingt notwendigen Reisen in die EU einzuführen, die von einem anfänglichen Zeitraum von 30 Tagen dann bis zum 15. Mai verlängert wurde. Die Staats- und Regierungschef stimmten am 17. März dieser Forderung zu. Seither haben alle EU-Mitgliedstaaten (mit Ausnahme Irlands) und assoziierten Schengen-Länder nationale Entscheidungen zur Umsetzung dieser Reisebeschränkung getroffen. Die Ausnahmen von der Reisebeschränkung gelten für Personen, die internationalen Schutz oder aus anderen humanitären Gründen Schutz benötigen, wobei der Grundsatz der Nichtzurückweisung zu achten ist.

Diese Leitlinien werden durch thematische Sitzungen ergänzt, die von den EU-Agenturen organisiert werden, um die Mitgliedstaaten durch praktische Beratung zu unterstützen und den Austausch bewährter Verfahren zu erleichtern.

Links zum Thema:

Leitlinien für die Umsetzung der einschlägigen EU-Bestimmungen im Bereich Asyl und Rückkehr und zu Neuansiedlungsverfahren

Leitlinien für die Umsetzung der vorübergehenden Beschränkung nicht unbedingt notwendiger Reisen in die EU

Quelle dieser Informationen: EU-Nachrichten der Vertretung der EU-Kommission in Deutschland