Deutsche Bank entkommt Kartellbuße wegen Beteiligung an Anleihen-Kartell © Europäische Union, 2020, Quelle: EU-Kommission - Audiovisueller Dienst, Fotograf*in: Jennifer Jacquemart

28.04.2021 Brüssel. Die Europäische Kommission hat heute (Mittwoch) die Bank of America Merrill Lynch, Crédit Agricole und Credit Suisse wegen Kartellrechtsverstößen mit Geldbußen von insgesamt knapp 28,5 Millionen Euro belegt. Gegen die Deutsche Bank wurde keine Geldbuße verhängt, da das Unternehmen die EU-Kartellwächter vom Bestehen des Kartells in Kenntnis gesetzt hatte. Ohne die Kronzeugenregelung hätte die Geldbuße für die Deutsche Bank etwa 21,5 Millionen Euro betragen. Die vier Banken hatten sich an einem Kartell im Bereich des Handels mit auf US-Dollar lautenden supranationalen, staatlichen und halbstaatlichen Anleihen (SSA-Anleihen) auf dem Sekundärmarkt im Europäischen Wirtschaftsraum beteiligt.

Die für Wettbewerbspolitik zuständige Exekutiv-Vizepräsidentin der Kommission Margrethe Vestager erklärte dazu: „Heute haben wir einen an die Bank of America Merrill Lynch, Crédit Agricole, Credit Suisse und die Deutsche Bank gerichteten Beschluss erlassen, weil deren Wertpapierhändler unter Verstoß gegen das Kartellrecht Handelsstrategien abgestimmt, sensible Preisinformationen ausgetauscht und Preise abgesprochen haben. Das Verhalten der Investmentbanken beschränkte den Wettbewerb auf einem Markt, auf dem Investment- und Pensionsfonds regelmäßig im Auftrag ihrer Anleger bzw. Leistungsempfänger Anleihen kaufen und verkaufen. Dieses Kartell schadete den Finanzmärkten. Der heutige Beschluss zeigt jedoch unmissverständlich, dass die Kommission keine wettbewerbswidrigen Absprachen dulden wird.“

Die Kartellbeteiligung der vier Investmentbanken erfolgte über eine Kerngruppe von Wertpapierhändlern, die in ihren für SSA-Anleihen in US-Dollar (USD) zuständigen Abteilungen arbeiteten und regelmäßig miteinander in Kontakt waren.

Eine Anleihe ist eine Schuldverschreibung, die einer juristischen Person die Beschaffung liquider Mittel ermöglicht. Anleihen werden auf dem Primärmarkt emittiert und von Finanzinstituten auf dem Sekundärmarkt gehandelt. Die potenziellen Kunden, z.B. Investment- oder Pensionsfonds, kontaktieren die Banken, um unabhängige Informationen über Preise und verfügbare Mengen konkreter Emittenten auf dem Sekundärmarkt einzuholen. Anleihen werden nach Währungen unterschieden. Diese Wettbewerbssache betrifft auf US-Dollar lautende SSA-Anleihen.

Die Wertpapierhändler, die miteinander in direktem Wettbewerb standen, loggten sich auf Bloomberg-Terminals in multilaterale bzw. bilaterale Chatrooms ein. Sie kannten sich persönlich und bildeten daher einen geschlossenen Kreis, in dem man sich vertraute. Die Händler informierten einander regelmäßig über ihre aktuellen Handelstätigkeiten, tauschten sensible Geschäftsinformationen aus, sprachen die ihren Kunden oder dem Markt allgemein genannten Preise ab und stimmten ihren Handel mit den Anleihen auf dem Sekundärmarkt ab. Dieses Verhalten, das sich über fünf Jahre erstreckte, wirkte sich auf den Sekundärmarkthandel mit auf US-Dollar lautenden SSA-Anleihen im gesamten EWR aus.

Die Untersuchung der Kommission ergab, dass die Händler nicht nur die bestimmten Kunden oder dem Markt allgemein genannte Preise absprachen, sondern zuweilen auch vereinbarten,

  • von Geboten/Angeboten, bei denen sie ansonsten miteinander konkurriert hätten, abzusehen oder sie zurückzuziehen,
  • Handelsgeschäfte untereinander aufzuteilen und ihre jeweiligen Positionen zu verbinden oder zu reduzieren, um der Anfrage eines bestimmten Kunden zu entsprechen, ohne dass diesem bewusst wurde, dass er es mit mehr als einem Händler zu tun hatte, sodass er in der Praxis nur eine beschränkte Auswahl hatte.

Das Verhalten der vier Banken verstößt gegen die EU-Wettbewerbsvorschriften, nach denen wettbewerbswidrige Geschäftspraktiken wie Preisabsprachen untersagt sind (Artikel 101 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union und Artikel 53 des EWR-Abkommens).

Der heutige Beschluss stellt ebenso wie frühere Beschlüsse über Kartelle im Bereich des Handels mit Finanzinstrumenten unter Beweis, dass die Kommission – wie auf allen anderen Märkten – auch in der Finanzwirtschaft entschieden gegen wettbewerbswidrige Praktiken vorgeht.

Geldbußen

Die Geldbußen wurden auf der Grundlage der Leitlinien der Kommission zur Festsetzung von Geldbußen aus dem Jahr 2006 (siehe auch MEMO) festgesetzt.

Bei der Höhe der Geldbußen wurden insbesondere der Umsatz der Kartellteilnehmer mit den betreffenden Produkten im EWR, die Schwere der Zuwiderhandlung, die geografische Reichweite des Kartells und die jeweilige Dauer der Kartellbeteiligung berücksichtigt.

Auf der Grundlage der Kronzeugenregelung von 2006 wurde der Deutschen Bank die Geldbuße, die etwa 21,5 Millionen Euro betragen hätte, vollständig erlassen, da das Unternehmen die Kommission über die Existenz des Kartells informiert hatte.

Gegen die einzelnen Unternehmen wurden folgende Geldbußen verhängt:

Unternehmen/Geldbuße (in Euro)

Deutsche Bank/0

Bank of America Merrill Lynch/12 642 000

Crédit Agricole/3 993 000

Credit Suisse/11 859 000

Hintergrund zu den Anleihemärkten

Sie werden zunächst am sogenannten „Primärmarkt“ begeben und über Auktionen oder durch Konsortien an Anleger verkauft. Am sogenannten „Sekundärmarkt“ werden sie anschließend zwischen Banken, Maklern und Anlegern gehandelt. Anleihen können nach Emittenten und nach der Währung, auf die sie lauten, unterschieden werden. Dementsprechend sind auch die Handelsabteilungen von Banken strukturiert. Der Begriff „SSA-Anleihen“ ist eine übergreifende Bezeichnung für drei Arten von Anleihen:

i) supranationale Anleihen, die von supranationalen Institutionen oder Einrichtungen wie etwa der Europäischen Investitionsbank begeben werden;

ii) staatliche Anleihen‚ die von Zentralregierungen nach einem anderen als dem innerstaatlichen Recht und/oder in einer Fremdwährung begeben werden (z.B. von europäischen Staaten begebene Anleihen, die auf US-Dollar lauten);

iii) halbstaatliche Anleihen (Agency-Anleihen), die auf einer dem Staat untergeordneten Ebene von staatsnahen Einrichtungen oder öffentlichen Stellen, wie etwa regionalen Entwicklungsbanken begeben werden.

Hintergrundinformationen zum Verfahren

Artikel 101 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) und Artikel 53 des EWR-Abkommens verbieten Kartelle und andere wettbewerbswidrige Verhaltensweisen, so auch wettbewerbsbeschränkende Preisabsprachen.

Die Kommission leitete die Untersuchung in dieser Sache im August 2015 ein, nachdem die Deutsche Bank einen Antrag auf der Grundlage der Kronzeugenregelung von 2006 gestellt hatte.

Geldbußen für Unternehmen, die gegen die EU-Kartellvorschriften verstoßen, werden in den Gesamthaushaltsplan der EU eingestellt. Die Mittel sind nicht für bestimmte Ausgaben vorgesehen. Stattdessen werden die Beiträge der Mitgliedstaaten zum EU-Haushalt für das Folgejahr entsprechend gekürzt. Somit tragen die Geldbußen zur Finanzierung der EU bei und entlasten die Steuerzahler. Gemäß Artikel 141 Absatz 2 des Abkommens über den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU liegt bei dieser Sache eine „fortdauernde Zuständigkeit“ vor. Daher erstattet die EU dem Vereinigten Königreich seinen Anteil an der Geldbuße, sobald diese Geldbuße rechtskräftig geworden ist.

Sobald alle Fragen im Zusammenhang mit dem Schutz vertraulicher Daten geklärt sind, werden weitere Informationen zu diesem Kartellfall unter der Nummer AT.40346 im öffentlich zugänglichen Register der Kommission auf der Website der Generaldirektion Wettbewerb veröffentlicht. Weitere Informationen über die Maßnahmen der Kommission gegen Kartelle finden sich auf ihrer Website unter der Rubrik Cartels.

Schadensersatzklagen

Personen und Unternehmen, die von wettbewerbswidrigem Verhalten wie dem in der vorliegenden Kartellsache beschriebenen betroffen sind, können vor den Gerichten der Mitgliedstaaten auf Schadensersatz klagen. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und der Verordnung 1/2003 des Rates sind Beschlüsse der Kommission ein bindender Nachweis dafür, dass das Verhalten stattgefunden hat und rechtswidrig war. Selbst wenn die Kommission gegen die Kartellteilnehmer Geldbußen verhängt hat, kann Schadensersatz zuerkannt werden. Die von der Kommission verhängte Geldbuße wird dabei nicht mindernd angerechnet.

Die Richtlinie über Schadensersatzklagen wegen Kartellrechtsverstößen, die die Mitgliedstaaten bis zum 27. Dezember 2016 in nationales Recht umsetzen mussten, erleichtert es Opfern von Kartellrechtsverstößen, Schadensersatz zu erhalten. Weitere Informationen über Schadensersatzklagen wegen Kartellrechtsverstößen sowie einen praktischen Leitfaden zur Ermittlung des Schadensumfangs finden Sie hier.

Instrument für Whistleblower (Hinweisgeber)

Die Kommission hat ein System eingerichtet, über das Einzelpersonen die Kommission leichter über wettbewerbswidriges Verhalten informieren können, ohne ihre Identität preiszugeben. Die Anonymität der Hinweisgeber (Whistleblower) wird durch ein ausgefeiltes System gewahrt, über das verschlüsselte Mitteilungen ausgetauscht werden können. Über diesen Link erhalten Sie Zugang zum Whistleblower-Tool.

Quelle dieser Informationen: EU-Nachrichten der Vertretung der EU-Kommission in Deutschland.