14.03.2019 Straßburg – Nach Jahren schwerer politischer und demokratischer Rückschritte empfiehlt das Europäische Parlament die offizielle Aussetzung der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei.

Das Europäische Parlament ist nach wie vor sehr besorgt über die schlechte Bilanz der Türkei bei der Achtung der Menschenrechte, der Rechtsstaatlichkeit, der Freiheit der Medien und der Korruptionsbekämpfung sowie über ihr Präsidialsystem.

In einer gestern (13.03) mit 370 Stimmen bei 109 Gegenstimmen und 143 Enthaltungen angenommenen Entschließung begrüßen die Abgeordneten die Entscheidung der Türkei vom vergangenen Jahr, den nach dem gescheiterten Putschversuch 2016 eingeführten Ausnahmezustand aufzuheben. Sie bedauern jedoch, dass viele der dem Präsidenten und der Exekutive im Rahmen des Ausnahmezustandes verliehenen Machtbefugnisse beibehalten wurden und die Freiheit und die grundlegenden Menschenrechte im Land weiterhin einschränken. Die Abgeordneten äußern große Besorgnis über den schrumpfenden Raum für die Zivilgesellschaft in dem Land, da sich derzeit eine große Zahl von Aktivisten, Journalisten und Menschenrechtsverteidiger im Gefängnis befindet.

Vor dem Hintergrund der Situation der Menschenrechte und der neuen türkischen Verfassung empfiehlt das Parlament, die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei offiziell auszusetzen.

Das Parlament steht hinter den türkischen Bürgern

Trotz der ernsten Situation setzen sich die Abgeordneten in der Entschließung für die türkischen Bürger ein und dafür, den politischen und demokratischen Dialog offen zu halten. EU-Mittel müssen – nicht über Ankara, sondern für die türkische Zivilgesellschaft – für Menschenrechtsverteidiger, Studenten und Journalisten bereitgestellt werden, um demokratische Werte und Prinzipien zu fördern und zu schützen.

Modernisierung der Zollunion zwischen der EU und der Türkei

Die Abgeordneten betonen, dass durch die Modernisierung der Zollunion die wirtschaftliche Anbindung der Türkei an die EU erhalten bliebe. Deshalb solle die Tür für die Modernisierung und den Ausbau der 1995 zwischen der EU und der Türkei vereinbarten Zollunion offen bleiben, damit gegenwärtig nicht abgedeckte Bereiche wie Landwirtschaft, Dienstleistungen und die Vergabe öffentlicher Aufträge einbezogen werden können, allerdings nur unter der Bedingung, dass die Türkei konkrete Zusagen zu Reformen in den Bereichen Demokratie, Menschenrechte, Grundfreiheiten, Rechtsstaatlichkeit macht, so der Text.

Visaliberalisierung

Das Parlament stellt fest, dass die Visaliberalisierung für türkische Bürger, insbesondere Studierende, Akademiker, Geschäftsleute und Menschen mit familiären Bindungen in EU-Mitgliedstaaten, von großer Bedeutung ist und ermutigt die türkische Regierung, die im Fahrplan zur Visaliberalisierung aufgeführten 72 Kriterien vollständig zu erfüllen.

Die Rolle der Türkei in der Migrationskrise

Die Entschließung weist auf die wichtige Rolle hin, die die Türkei bei der Reaktion auf die durch den Krieg in Syrien ausgelöste Migrationskrise gespielt hat und auf die Bemühungen der Regierung, Flüchtlingen vorübergehenden Schutz zu gewähren. Das Parlament ist der Ansicht, dass das Land und seine Bevölkerung große Gastfreundschaft bewiesen haben, als sie über dreieinhalb Millionen syrischer Flüchtlinge Schutz boten, fordert sie aber gleichzeitig auf, den Grundsatz der Nichtzurückweisung zu achten. Die EU-Mitgliedstaaten hingegen müssen ihr Versprechen bezüglich einer Neuansiedlung in großem Maßstab halten und sicherstellen.

Zitat

Berichterstatterin Kati Piri (S&D, NL): „Wenn die EU ihre eigenen Werte ernst nimmt, kann sie die Gespräche über den EU-Beitritt nur noch offiziell aussetzen. Unsere wiederholten Forderungen nach der Achtung der Grundrechte sind in Ankara auf taube Ohren gestoßen. Neben den schweren Menschenrechtsverletzungen, dem Abbau der Rechtsstaatlichkeit und der Tatsache, dass die Türkei den Weltrekord für die Zahl inhaftierter Journalisten hält, zementiert die kürzlich geänderte Verfassung den Autoritarismus von Erdoğan“.

„Ich weiß, dass die Aussetzung der Beitrittsgespräche kein Schritt ist, der den Demokraten in der Türkei helfen wird. Dazu müssen die Staats- und Regierungschefs der EU alle Instrumente, die ihnen zur Verfügung stehen, nutzen, um mehr Druck auf die türkische Regierung auszuüben. Das Parlament fordert daher, dass Sondermittel zur Unterstützung der Zivilgesellschaft, von Journalisten und Menschenrechtsaktivisten in der Türkei bereitgestellt werden. Darüber hinaus muss die Modernisierung der Zollunion weiterhin von der deutlichen Verbesserung im Bereich der Menschenrechte abhängen. Und es müssen mehr Anstrengungen für Austauschprogramme zwischen den Menschen unternommen werden.“

Hintergrundinformationen

Die EU ist der größte Handelspartner der Türkei, während zwei Drittel der ausländischen Direktinvestitionen in der Türkei aus den EU-Mitgliedstaaten stammen. Die Verhandlungen über den EU-Beitritt wurden 2005 aufgenommen.

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