11.11.2019 Brüssel/Berlin. In einer Grundsatzrede zum 30. Jahrestag des Mauerfalls hat Ursula von der Leyen am Freitagabend am Brandenburger Tor in Berlin ihre Vision für das Europa von morgen beschrieben. „Ein wiedervereintes Deutschland war damals ohne den europäischen Rahmen für viele Nachbarn nicht denkbar. Die Stärke der gemeinsamen Idee hat uns damals getragen. Das dürfen wir auch mit Blick auf die Zukunft nicht vergessen“, sagte die gewählte EU-Kommissionspräsidentin. Deutsche und Europäer bräuchten heute wieder so einen „Gestaltungsmut wie vor 30 Jahren“, um nun die Herausforderungen des Klimawandels und der Digitalisierung zu bewältigen. „Die Kraft der Idee Europa ist ungebrochen“, sagte von der Leyen. „Es gibt keine Herausforderung für Europa, die nicht mit den Stärken Europas bewältigt werden kann.“
In einer Welt, in der das relative Gewicht Europas abnimmt, wären viele EU-Mitglieder alleine zu schwach, um mit den USA wirkungsvoll über Zölle zu verhandeln. „Zusammen aber sind wir 500 Millionen und machen wir 40 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts aus. Gemeinsam sind wir die größte Handelsmacht der Welt. Gemeinsam können wir Handelsabkommen aushandeln, die nicht nur unserer Wirtschaft nützen, sondern mit denen wir auch unsere Werte durchsetzen“, sagte von der Leyen.
In der Digitalisierung stehe in den USA traditionell der Markt an erster Stelle, in Asien oft der Staat. „Europa dagegen hat eine lange Tradition, den Einfluss von Regierung und Markt in Einklang zu bringen und dabei dem Individuum besondere Priorität einzuräumen. Diese kulturelle Prägung ist Europas großer Vorteil bei der Gestaltung des digitalen Zeitalters“, so die gewählte Präsidentin.
Einen großen Teil ihrer Rede widmete sie der Klimapolitik. „Genauso wie wir nun auf das Jahr 1989 blicken, wird die nächste Generation uns in 30 Jahren daran messen, ob wir heute Gestaltungsmut für Morgen beweisen. Der Auftrag der jungen Menschen, die heute auf den Straßen demonstrieren, ist ganz unmissverständlich: Es ist unsere Verantwortung, den Klimawandel zu bekämpfen und ihnen einen lebenswerten Planeten zu übergeben“, sagte von der Leyen. „Wir können und müssen es schaffen, dass Europa bis 2050 der erste klimaneutrale Kontinent ist. Europa kann Trendsetter werden. Wenn wir der Kraft der gemeinsamen Idee vertrauen und entschlossen handeln.“
Europa habe etwas, was unschätzbar ist: Rechtsstaat, Freiheit, Demokratie, Offenheit für viele Lebensentwürfe – „das finden junge Menschen nicht in China oder Russland“, sagte von der Leyen. Europa könne seine vorhandene Kraft gezielter einsetzen, wo es um europäische Interessen geht. „Ja, China ist ein wichtiger Handelspartner für Europa. Aber umgekehrt ist die EU der größte Handelspartner für China. Wir können die Bedingungen beeinflussen, zu denen wir Geschäfte machen – und wir tun dies längst.“
Europa müsse mit dem Blick auf die äußeren Interessen strategischer werden. „Das betrifft auch die Frage der Erweiterungspolitik. Wir haben viel verlangt von Nordmazedonien und Albanien, sie haben das alles erfüllt – jetzt müssen wir auch zu unserem Wort stehen und Beitrittsgespräche beginnen.“
Ursula von der Leyen stellte auch einen Neustart in der Migrationspolitik in Aussicht: „Ich habe seit dem Sommer viele Gespräche mit europäischen Staats- und Regierungschefs geführt. Allen ist klar, dass Europa nicht so weitermachen kann. Auch denjenigen, die den Verteilmechanismus blockieren, ist klar, dass das Phänomen der Migration für uns alle nicht einfach weggeht. Die gute Nachricht: Sie wollen zurück an den Tisch und über nachhaltige Lösungen sprechen. Und ihnen ist auch klar, dass jeder Mitgliedstaat zu dieser Lösung solidarisch beitragen muss. Ich glaube, dass es ein Fenster für einen Neustart beim Thema Migration gibt.“
Abschließend sagte von der Leyen: „Vor 30 Jahren hatten die Menschen den Mut, die Unfreiheit zu überwinden und Zukunft zu wagen. Genauso brauchen wir jetzt Mut für Europa: Mut für ein Europa der Freiheit. Mut für ein Europa, das sich zu seinen Werten bekennt. Mut für ein Europa, das seine Zukunft beherzt in die Hand nimmt.“
Links zum Thema:
Redetext zur Europa-Rede von Ursula von der Leyen in Berlin am 8. November 2019
Veranstaltungsbericht der Konrad-Adenauer-Stiftung
Quelle dieser Informationen: EU-Nachrichten der Vertretung der EU-Kommission in Deutschland.