14.05.2020 Brüssel. Die Europäische Kommission hat heute (Donnerstag) ihre monatlichen rechtlichen Schritte gegen Mitgliedstaaten eingeleitet, die ihren Verpflichtungen aus dem EU-Recht nicht nachkommen. Deutschland ist in sechs Fällen mit neuen Stufen eines Vertragsverletzungsverfahrens der Kommission in den Bereichen Umwelt, Arbeitsschutz, Datenschutz, Energie und Verkehr konfrontiert. Mit diesen Verfahren, die verschiedene Mitgliedstaaten, Sektoren und EU-Politikfelder betreffen, soll eine korrekte und vollständige Anwendung des EU-Rechts im Interesse der Bürgerinnen und Bürger und der Unternehmen gewährleistet werden.
Die Kommission hat zudem beschlossen, 70 Verfahren einzustellen, in denen die Probleme mit den Mitgliedstaaten gelöst wurden und keine weiteren Verfahrensschritte notwendig sind. Die wichtigsten Beschlüsse der Kommission zu Deutschland werden im Folgenden nach Politikfeldern geordnet vorgestellt.
Am 30. Januar 2020 erklärte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) den Ausbruch von COVID-19 zu einer „gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite“; am 11. März stufte sie ihn als Pandemie ein. Die Kommission hat zwar klargemacht, dass sie weiterhin Vertragsverletzungsverfahren durchführen wird, wo sie dies für notwendig hält, jedoch auch eingeräumt, dass die COVID-19-Pandemie und die mit ihrer Bekämpfung verbundenen Maßnahmen die nationalen Verwaltungen erheblich belasten. In bestimmten Fällen kann die Krise insbesondere auch die Fähigkeit der Verwaltungen der Mitgliedstaaten beeinträchtigen, die Umsetzung des EU-Rechts sicherzustellen. Daher hat die Kommission den Mitgliedstaaten vor Kurzem mitgeteilt, dass die Antwortfristen in laufenden, seit Jahresbeginn eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren verlängert wurden. Heute wurde beschlossen, den Mitgliedstaaten anstatt der bisher üblichen zwei Monate vier Monate Zeit zu geben, um auf die Aufforderungsschreiben und mit Gründen versehenen Stellungnahmen zu reagieren, die in der Mairunde der Vertragsverletzungsverfahren angekündigt werden.
Aufforderungsschreiben
Umweltverschmutzung: Kommission fordert Deutschland, Österreich und Slowenien auf, ihre Vorschriften über die Umweltverschmutzung durch die Industrie zu verbessern
Die Kommission fordert Deutschland, Österreich und Slowenien auf, die EU-Vorschriften über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung infolge industrieller Tätigkeiten ordnungsgemäß in nationales Recht umzusetzen. Die Richtlinie über Industrieemissionen (Richtlinie 2010/75/EU) enthält auch Vorschriften zur Vermeidung oder Verringerung von Emissionen in Luft, Wasser und Boden und zur Abfallvermeidung. Deutschland hat einige Bestimmungen der Richtlinie nicht ordnungsgemäß umgesetzt. So ist die Beteiligung der Öffentlichkeit in mehrerlei Hinsicht begrenzt, und Bestimmungen, die es den zuständigen Behörden ermöglichen, in besonderen Fällen weniger strenge Emissionsgrenzwerte festzulegen, wurden nicht ordnungsgemäß umgesetzt. Slowenien hat einige Bestimmungen der Richtlinie nicht ordnungsgemäß umgesetzt. So wurde die Bedingung eines gleichwertigen Umweltschutzniveaus insgesamt nicht ordnungsgemäß umgesetzt, und es fehlen anlagenspezifische Genehmigungsauflagen, die sich aus einer individuellen Bewertung ergeben. Dadurch wird der Anwendungsbereich der Richtlinie über Gebühr eingeschränkt. Österreich hat eine Vielzahl technischer Vorschriften nicht ordnungsgemäß umgesetzt, auch wenn die meisten Umsetzungsprobleme nicht ganz Österreich, sondern nur bestimmte Wirtschaftszweige oder Bundesländer betreffen. Die Kommission richtet daher Aufforderungsschreiben an diese drei Länder. Diese haben nun vier Monate Zeit, um die von der Kommission festgestellten Mängel zu beheben. Sollte die Kommission keine zufriedenstellende Antwort erhalten, kann sie mit Gründen versehene Stellungnahmen übermitteln.
Verhütung schwerer Unfälle mit gefährlichen Stoffen: Kommission fordert Deutschland, Estland, Lettland, Litauen und Österreich auf, ihre nationalen Vorschriften zu verbessern
Die Europäische Kommission fordertDeutschland, Estland, Lettland, Litauen und Österreich auf, ihre nationalen Rechtsvorschriften mit der Richtlinie 2012/18/EU zur Beherrschung der Gefahren schwerer Unfälle mit gefährlichen Stoffen (Seveso-III-Richtlinie) in Einklang zu bringen. Die Richtlinie gilt für mehr als 12.000 Industrieanlagen in der gesamten Europäischen Union und enthält Vorschriften zur Verhütung schwerer Industrieunfälle und zur Minimierung ihrer schädlichen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt. Deutschland hat die Richtlinie in Bezug auf die Informationspflichten, die Strategie zur Verhütung schwerer Unfälle, die Information der Öffentlichkeit, die Beteiligung an Entscheidungsverfahren sowie Sicherheitsberichte und Notfallpläne nicht ordnungsgemäß umgesetzt. Insbesondere die Bestimmungen über öffentliche Konsultationen und die Beteiligung im Zusammenhang mit neuen Entwicklungen in der Nachbarschaft von Betrieben wurden auf nationaler und regionaler Ebene nicht ordnungsgemäß umgesetzt. Estland hat die meisten Bestimmungen der Richtlinie, von den Begriffsbestimmungen bis hin zu den Fristen für die Übermittlung von Informationen, nicht ordnungsgemäß umgesetzt. Die meisten Mängel betreffen die Tatsache, dass einige wesentliche Anforderungen im nationalen Recht entweder fehlen oder unklar sind. Lettland hat die Richtlinie unter anderem in Bezug auf die Einstufung der (bestehenden oder neuen) Betriebe sowie die öffentliche Konsultation und Beteiligung nicht ordnungsgemäß umgesetzt. Litauen hat die Bestimmungen über nichtroutinemäßige Inspektionen nicht ordnungsgemäß umgesetzt, mit denen überprüft werden soll, ob die Industrieanlagen ihren Verpflichtungen in vollem Umfang nachkommen. Insbesondere wurden die Vorschriften über die Pflicht zum Austausch ausreichender und detaillierter Informationen mit anderen potenziell betroffenen Mitgliedstaaten im Falle von Unfällen nicht ordnungsgemäß in nationales Recht umgesetzt. Österreich hat die Richtlinie unter anderem in Bezug auf die Konsultation der Öffentlichkeit und die Beteiligung an Entscheidungsverfahren nicht ordnungsgemäß umgesetzt. Daher hat die Kommission heute beschlossen, Aufforderungsschreiben an die betreffenden Länder zu richten, die nun vier Monate Zeit haben, um Abhilfe zu schaffen. Andernfalls kann die Kommission beschließen, mit Gründen versehene Stellungnahmen zu übermitteln.
Eisenbahnverkehr: Kommission fordert Deutschland auf, das EU-Recht ordnungsgemäß umzusetzen
Die Kommission fordert Deutschland nachdrücklich auf, sein nationales Recht mit der Richtlinie (EU) 2016/797 über die Interoperabilität des Eisenbahnsystems in der Europäischen Union (Neufassung der Richtlinie 2008/57/EG) in Einklang zu bringen. In den Richtlinien (EU) 2016/797 und 2008/57/EG zur Interoperabilität sind die Bedingungen für die Verwirklichung der Interoperabilität innerhalb des Eisenbahnsystems der Union festgelegt. Diese Bedingungen betreffen die Planung, den Bau, die Inbetriebnahme, die Umrüstung, die Erneuerung, den Betrieb und die Instandhaltung von Bestandteilen dieses Systems und darüber hinaus die Qualifikationen sowie die Gesundheits- und Sicherheitsbedingungen in Bezug auf das für seinen Betrieb und seine Instandhaltung eingesetzte Personal. Im vorliegenden Fall ist die Kommission der Auffassung, dass die nationalen Bestimmungen betreffend die Anforderungen an die Bremsanlagen von Güterwagen nicht mit dem EU-Recht im Einklang stehen und die Bemühungen um Interoperabilität behindern. Reagiert Deutschland nicht binnen vier Monaten, kann die Kommission beschließen, eine mit Gründen versehene Stellungnahme zu übermitteln.
Zivilluftfahrt: Europäische Kommission drängt 11 Mitgliedstaaten zur Benennung einer Stelle für die Redlichkeitskultur
Die Kommission hat ferner beschlossen, Aufforderungsschreiben an Österreich, Belgien, Bulgarien, Zypern, Deutschland, Griechenland, Italien, Luxemburg, Malta und Spanien zu richten, da auch diese Mitgliedstaaten keine Stelle für die Redlichkeitskultur gemäß der Verordnung (EU) Nr. 376/2014 benannt haben. Die Kommission fordert die Mitgliedstaaten auf, die einschlägigen EU-Vorschriften uneingeschränkt einzuhalten. Die Mitgliedstaaten haben nun vier Monate Zeit, um auf die Argumente der Kommission zu antworten. Andernfalls kann diese beschließen, mit Gründen versehene Stellungnahmen zu übermitteln.
Sicherheit der Erdgasversorgung: Kommission fordert die Mitgliedstaaten auf, die EU-Vorschriften ordnungsgemäß umzusetzen
Die Kommission hat heute beschlossen, Aufforderungsschreibenan alle EU-Mitgliedstaaten (mit Ausnahme Zyperns wegen der Ausnahmeregelung) und an das Vereinigte Königreich zu richten, da sie einige Bestimmungen der Verordnung über die Sicherheit der Erdgasversorgung (Verordnung (EU) 2017/1938) nicht einhalten‚ insbesondere hinsichtlich der Mitteilungspflichten und der Anwendung des Solidaritätsmechanismus. In der Verordnung werden Anforderungen festgelegt, um potenzielle Störungen der Gasversorgung in der EU zu verhindern bzw. darauf zu reagieren. Präventions- und Notfallpläne sowie klare Solidaritätsregelungen zwischen den Mitgliedstaaten sind von entscheidender Bedeutung. Die Kommission verfolgt aufmerksam die Umsetzung dieser Verpflichtungen auf nationaler Ebene. Die betroffenen Mitgliedstaaten und das Vereinigte Königreich haben jetzt vier Monate Zeit, um der Kommission zu antworten. Gemäß dem Austrittsabkommen gilt das EU-Recht während des Übergangszeitraums weiterhin uneingeschränkt für das Vereinigte Königreich. Andernfalls kann die Kommission beschließen, mit Gründen versehene Stellungnahmen zu übermitteln.
Mit Gründen versehene Stellungnahme
Datenschutz: Kommission fordert Deutschland und Slowenien auf, die Umsetzung der Richtlinie zum Datenschutz bei der Strafverfolgung abzuschließen
Die Kommission hat heute beschlossen, Deutschland und Slowenien mit Gründen versehene Stellungnahmen zu übermitteln, weil sie die Richtlinie zum Datenschutz bei der Strafverfolgung (Richtlinie (EU) 2016/680) nicht vollständig umgesetzt haben. Diese Richtlinie schützt das Grundrecht der Bürger auf Datenschutz, wenn Strafverfolgungsbehörden personenbezogene Daten für Strafverfolgungszwecke verwenden. Diese EU-Vorschriften gewährleisten, dass die personenbezogenen Daten von Opfern, Zeugen und Verdächtigen angemessen geschützt werden. Die Einführung vergleichbarer Datenschutzstandards in der gesamten EU erleichtert den Austausch personenbezogener Daten bei der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im Kampf gegen Kriminalität und Terrorismus. Die Mitgliedstaaten hatten bis zum 6. Mai 2018 Zeit, die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. Die Kommission hatte am 25. Juli 2019 ein Aufforderungsschreiben an Deutschland gerichtet. Bis heute hat Deutschland der Kommission für 5 der 16 Bundesländer noch keine Umsetzungsmaßnahmen mitgeteilt. Im Falle Sloweniens beschloss die Kommission im Anschluss an ihre mit Gründen versehene Stellungnahme vom 24. Januar 2019, eine weitere mit Gründen versehene Stellungnahme zu übermitteln, in der sie Slowenien nachdrücklich aufforderte, die Umsetzung der Richtlinie abzuschließen. Deutschland und Slowenien haben vier Monate Zeit, um zu reagieren und die entsprechenden Maßnahmen zu ergreifen. Andernfalls können die Fälle an den Gerichtshof der Europäischen Union verwiesen werden.
Links zum Thema:
Die vollständige Übersicht über Vertragsverletzungsverfahren im Mai
Nähere Informationen über Vertragsverletzungsverfahren
Weitere Informationen zu allen gefassten Beschlüssen sind im Register der Beschlüsse über Vertragsverletzungsverfahren zu finden
Quelle dieser Informationen: EU-Nachrichten der Vertretung der EU-Kommission in Deutschland