Kommission verklagt Österreich wegen Diskriminierung von EU-Ausländern bei Familienleistungen © Europäische Gemeinschaften, 1996, Quelle: EU-Kommission - Audiovisueller Dienst

14.05.2020 Brüssel. Die EU-Kommission hat heute (Donnerstag) beschlossen, Österreich beim Gerichtshof der Europäischen Union zu verklagen. Ihrer Ansicht nach sind die österreichischen Rechtsvorschriften über die Indexierung von Familienleistungen, Kinderabsetzbeträgen und anderen Steuervorteilen für Familien diskriminierend und nach dem EU-Recht nicht zulässig.

Am 1. Januar 2019 führte Österreich einen Mechanismus zur Indexierung der Höhe von Familienleistungen, Kinderabsetzbeträgen und anderen Steuervorteilen für Familien für EU-Bürgerinnen und -Bürger ein, die in Österreich arbeiten, deren Kinder aber im Ausland leben. Nach Ansicht der Kommission verstößt ein solcher Indexierungsmechanismus gegen die EU-Vorschriften über die Arbeitnehmerfreizügigkeit und die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit.

Der Mechanismus verstößt gegen die geltenden Vorschriften zur Koordinierung der sozialen Sicherheit und ist diskriminierend, da einige mobile EU-Arbeitnehmerinnen und ‑Arbeitnehmer, die in Österreich in vollem Umfang zu Wirtschaft, Erwerbstätigkeit und Sozialversicherung beitragen, niedrigere Leistungen erhalten als solche, deren Kinder in Österreich leben. Die Indexierung gilt indes nicht für österreichische Staatsangehörige, die im Ausland für eine österreichische Behörde arbeiten und deren Kinder mit ihnen dort leben – obwohl ihre Situation vergleichbar ist.

Die heutige Klage beim Gerichtshof ist der letzte Schritt im Vertragsverletzungsverfahren, das die Kommission im Januar 2019 mit der Übermittlung eines Aufforderungsschreibens an Österreich eingeleitet hatte. Da die Antwort Österreichs vom März 2019 nicht zufriedenstellend war, richtete die Kommission im Juli 2019 eine mit Gründen versehene Stellungnahme an das Land. Auch mit seiner Antwort vom Oktober 2019 konnte Österreich die Bedenken der Kommission nicht ausräumen. Daher hat diese heute beschlossen, Klage beim Gerichtshof der Europäischen Union einzureichen.

Hintergrund

Gegen welche EU-Vorschriften wird verstoßen?

Nach Auffassung der Kommission wirft die Indexierung der Familienleistungen, des Kinderabsetzbetrags und der einschlägigen Steuervorteile bei mobilen EU‑Arbeitnehmerinnen und ‑Arbeitnehmern, deren Kinder in einem anderen Mitgliedstaat leben, Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit mit dem EU-Recht auf. Die österreichischen Bestimmungen sind insbesondere nicht mit den folgenden EU-Vorschriften vereinbar:

  • Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit und Grundsätze der Gleichbehandlung und des Verbots von Wohnortklauseln.

Die Mitgliedstaaten dürfen Geldleistungen, die nach ihrer Rechtsordnung versicherten Personen gewährt werden, nicht allein aus dem Grund kürzen, dass diese Personen oder ihre Familienangehörigen außerhalb des Hoheitsgebiets des betreffenden Mitgliedstaats wohnen. Durch den österreichischen Indexierungsmechanismus wird der Betrag von Familienleistungen und der Kinderabsetzbetrag für Kinder gesenkt, die in einem anderen EU-Mitgliedstaat leben, wo die Lebenshaltungskosten als niedriger angesehen werden.

Dass die Lebenshaltungskosten in einem anderen Mitgliedstaat als niedriger als in Österreich gelten, ist für die Gewährung einer Leistung nicht ausschlaggebend, da diese als Pauschalbetrag ohne Bezug zu den tatsächlichen Unterhaltskosten für ein Kind ausbezahlt wird. Außerdem wendet Österreich den Indexierungsmechanismus nicht auf Personen an, die im Ausland für eine österreichische Behörde arbeiten und deren Kinder ebenfalls in einem anderen EU-Mitgliedstaat leben.

Des Weiteren bedeutet der Grundsatz der Gleichbehandlung in Fragen der Koordinierung der sozialen Sicherheit, dass die Gleichbehandlung aller Personen ohne Unterscheidung nach der Staatsangehörigkeit gewährleistet werden muss, indem alle diskriminierenden Maßnahmen in den nationalen Rechtsvorschriften beseitigt werden.

  • Verordnung (EU) Nr. 492/2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union und Grundsatz der Gleichbehandlung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern aus anderen Mitgliedstaaten hinsichtlich sozialer und steuerlicher Vergünstigungen.

Gemäß der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 genießt ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats die gleichen sozialen und steuerlichen Vergünstigungen wie die inländischen Arbeitnehmer. Zweck des österreichischen Familienbonus Plus, des Alleinverdienerabsetzbetrags und des Unterhaltabsetzbetrags ist es, berufstätige Eltern – auch im Kontext einer alternden Gesellschaft – finanziell zu entlasten. Die fraglichen Steuervergünstigungen haben keinen Bezug zu den tatsächlichen Unterhaltskosten für Kinder.

Links zum Thema:

Indexierung von Familienleistungen, Kinderabsetzbeträgen und anderen Steuervorteilen für Familien: Kommission verklagt Österreich wegen Diskriminierung
Presseinformation der EU-Kommission vom 14.05.2020.

Koordinierung der sozialen Sicherheit in der EU

Wichtige Beschlüsse bei den Vertragsverletzungsverfahren im Mai 2020

Zu Vertragsverletzungsverfahren allgemein siehe MEMO/12/12

Zum EU-Vertragsverletzungsverfahren

Quelle dieser Informationen: EU-Nachrichten der Vertretung der EU-Kommission in Deutschland