19.01.2018 Brüssel. Die Europäische Kommission will den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) mehr Flexibilität bei der Festlegung der Mehrwertsteuersätze einräumen und das steuerliche Umfeld für Kleinunternehmen verbessern. Die am Donnerstag (18. Januar) von der EU-Kommission vorgelegten Vorschläge sind der letzte Teil einer umfassenden Reform der Mehrwertsteuer zur Schaffung eines einheitlichen EU-Mehrwertsteuerraums, der den Mehrwertsteuerbetrug in der EU (50 Milliarden Euro jährlich) drastisch verringern und gleichzeitig die Unternehmen fördern und die Staatseinnahmen sichern soll.
Die 1992 von allen EU-Mitgliedstaaten vereinbarten gemeinsamen Mehrwertsteuervorschriften sind nicht mehr zeitgemäß und zu restriktiv. Die Mitgliedstaaten dürfen ermäßigte Mehrwertsteuersätze lediglich in einigen Wirtschaftszweigen und bei einigen Gütern anwenden. Gleichzeitig stellen die Mehrwertsteuersätze für die Mitgliedstaaten ein nützliches Instrument dar, um einige ihrer politischen Ziele zu erreichen. Die EU-Kommission kommt nun ihrer Zusage nach, den EU-Mitgliedstaaten mehr Spielraum bei den Mehrwertsteuersätzen zuzugestehen. Bei einigen bestehenden Ausnahmen von den Vorschriften, den sogenannten Mehrwertsteuer-Ausnahmeregelungen, werden die Mitgliedstaaten in höherem Maße gleichberechtigt sein.
Die EU-Kommission geht mit ihren aktuellen Vorschlägen auch das Problem kleinerer Unternehmen an, die mit unverhältnismäßig hohen Mehrwertsteuer-Befolgungskosten zu kämpfen haben. Die Befolgungskosten grenzüberschreitend tätiger Unternehmen sind 11 Prozent höher als die nur im Inland tätiger Unternehmen, wobei die kleinsten Unternehmen am stärksten betroffen sind. Dies erweist sich als ein reales Hindernis für das Wachstum, da in der EU 98 Prozent der Unternehmen Kleinunternehmen sind. Die EU-Kommission schlägt daher vor, einer größeren Zahl von Unternehmen die Vorteile einfacherer Mehrwertsteuervorschriften zu eröffnen, die derzeit nur den kleinsten Unternehmen zugutekommen. Die gesamten mehrwertsteuerbezogenen Befolgungskosten werden um 18 Prozent jährlich verringert.
Valdis Dombrovskis, Vizepräsident der EU-Kommission für den Euro und den sozialen Dialog, sagte dazu am Donnerstag in Brüssel: „Vor drei Monaten hat die Kommission eine Überarbeitung der Mehrwertsteuervorschriften im Hinblick auf das endgültige Mehrwertsteuersystem vorgeschlagen. Dadurch wird der Grundsatz eingeführt, dass die Mehrwertsteuer im Bestimmungsland erhoben wird. Die heutigen Vorschläge über die Mehrwertsteuersätze sollen in Kraft treten, sobald das endgültige System eingeführt wurde.“
Pierre Moscovici, EU-Kommissar für Wirtschafts- und Finanzangelegenheiten, Steuern und Zoll, erklärte am Donnerstag: „Heute kommen wir mit der Einführung einfacherer Vorschriften für die Mitgliedstaaten und Unternehmen dem einheitlichen europäischen Mehrwertsteuerraum einen weiteren Schritt näher. Die Vorschläge verschaffen den Mitgliedstaaten mehr Freiraum bei der Anwendung ermäßigter Mehrwertsteuersätze auf bestimmte Güter und Dienstleistungen. Gleichzeitig verringern sie den Verwaltungsaufwand für grenzüberschreitend tätige Kleinunternehmen, sodass sie expandieren und Arbeitsplätze schaffen können. Kurz gesagt: gemeinsame Vorschriften dort, wo es für das Funktionieren des Binnenmarkts erforderlich ist, und mehr Flexibilität für die Regierungen, damit sie ihre politischen Präferenzen in den Mehrwertsteuersätzen zum Ausdruck zu bringen können.“
Mehr Flexibilität
Die EU-Mitgliedstaaten können derzeit einen ermäßigten Steuersatz von 5 Prozent auf zwei unterschiedliche Kategorien von Gütern in ihrem Land anwenden. Einige EU-Mitgliedstaaten nutzen außerdem spezielle Ausnahmeregelungen mit noch geringeren Steuersätzen.
Neben einem Mehrwertsteuernormalsatz von mindestens 15 Prozent sollen die EU-Mitgliedstaaten nach den Vorschlägen der EU-Kommission künftig
- zwei ermäßigte Steuersätze zwischen 5 Prozent und dem vom EU-Mitgliedstaat gewählten Normalsatz,
- eine Mehrwertsteuerbefreiung („Nullsatz“) sowie
- einen ermäßigten Satz zwischen 0 Prozent und den ermäßigten Sätzen festlegen können.
Die derzeitige, komplizierte Liste von Gegenständen und Dienstleistungen, für die ermäßigte Steuersätze anwendbar sind, würde durch einen neue Liste von Gütern (wie Waffen, alkoholische Getränke, Glücksspiele und Tabak) ersetzt, auf die stets der Normalsatz von 15 Prozent oder ein höherer Satz angewandt werden müsste.
Um die Staatseinnahmen zu sichern, werden die EU-Mitgliedstaaten nach den aktuellen Vorschlägen außerdem dafür sorgen müssen, dass der gewogene mittlere Mehrwertsteuersatz mindestens 12 Prozent beträgt.
Die geplante, neue Regelung beinhaltet zudem, dass alle Gegenstände, die derzeit mit einem vom Normalsatz abweichenden Steuersatz besteuert werden, auch weiterhin mit diesem Satz besteuert werden können.
Abbau der mit der Mehrwertsteuer verbundenen Kosten für KMU
Gemäß den derzeitigen Vorschriften können die EU-Mitgliedstaaten von Kleinunternehmen getätigte Verkäufe von der Mehrwertsteuer befreien, sofern diese einen bestimmten, von Land zu Land unterschiedlichen Jahresumsatz nicht übersteigen. Expandierende kleine und mittlere Unternehmen (KMU) verlieren das Anrecht auf Vereinfachungsmaßnahmen, sobald der Schwellenwert für die Steuerbefreiung überschritten wird. Diese Steuerbefreiungen stehen außerdem nur inländischen Unternehmen zur Verfügung. Das bedeutet, dass keine einheitlichen Wettbewerbsbedingungen für innerhalb der EU tätige Kleinunternehmen herrschen.
Neben der Beibehaltung der derzeitigen Schwellenwerte für Steuerbefreiungen sehen die jetzt von der EU-Kommission vorgelegten Vorschläge Folgendes vor:
- einen EU-weiten Umsatzschwellenwert von 2 Millionen Euro, bis zu dem Vereinfachungsmaßnahmen für alle – steuerbefreiten und nicht steuerbefreiten – Kleinunternehmen anwendbar sind;
- die Möglichkeit, dass die EU-Mitgliedstaaten alle Kleinunternehmen, die für eine Mehrwertsteuerbefreiung infrage kommen, von ihren Pflichten im Hinblick auf Registrierung, Rechnungstellung, Aufzeichnung und Mitteilung befreien;
- einen Umsatzschwellenwert von 100.000 Euro, der es Unternehmen, die in mehr als einem EU-Mitgliedstaat tätig sind, ermöglichen würde, die Mehrwertsteuerbefreiung in Anspruch zu nehmen.
Diese am Donnerstag von der EU-Kommission vorgelegten Legislativvorschläge werden nun dem Europäischen Parlament und dem Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) zur Konsultation und dem Rat der EU (Ministerrat) zur Annahme übermittelt. Die Änderungen werden erst dann wirksam, wenn die Umstellung auf das endgültige Mehrwertsteuersystem erfolgt.
Hintergrundinformationen
Mit den am Donnerstag von der EU-Kommission vorgeschlagenen Maßnahmen werden der Vorschlag für die „Eckpfeiler“ eines neuen endgültigen und gemeinsamen EU-Mehrwertsteuerraums vom Oktober 2017 und der Mehrwertsteuer-Aktionsplan „Auf dem Weg zu einem einheitlichen europäischen Mehrwertsteuerraum“ vom April 2016 umgesetzt.
Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist für den EU-Binnenmarkt sehr wichtig. Die Mehrwertsteuer ist eine bedeutende und wachsende Einnahmequelle in der EU. Im Jahr 2015 betrugen die Mehrwertsteuereinnahmen mehr als 1.000 Milliarden Euro, d.h. 7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) der EU. Darüber hinaus stellt die Mehrwertsteuer eine Eigenmittelquelle der EU dar.
Links zum Thema:
Mehrwertsteuer: Flexiblere Mehrwertsteuersätze, weniger Verwaltungsaufwand für Kleinunternehmen
PresseInformation der EU-Kommission vom 18. Januar 2018.
Mehrwertsteuerpaket
Memorandum der EU-Kommission vom 18. Januar 2018 mit Fragen und Antworten (FAQ) zum Thema.
Brüssel will EU-Staaten mehr Spielraum bei Mehrwertsteuersätzen geben
Weitere Nachricht vom 19. Januar 2018 zum Thema.