30.01.2019 Berlin – Europa ist nach Überzeugung von EU-Kommissar Günther Oettinger der Kontinent auf der Welt, der die globalen Maßstäbe für Freiheit und Freizügigkeit setzt. Angesichts vielfältiger Konflikte in aller Welt und nationalistischer Tendenzen in Europa rief Oettinger die Deutschen und Europäer bei einer Grundsatzrede bei der Bertelsmann Stiftung in Berlin dazu auf, „wahrnehmbar und überzeugend“ für die Werteordnung der EU mit parlamentarischer Demokratie, sozialer Marktwirtschaft, Gewaltenteilung, Rechtsstaatlichkeit, Meinungs- und Presse-, Glaubens- und Religionsfreiheit einzutreten.

„Es ist in diesem Jahr wichtiger als jemals zuvor“, sagte Oettinger mit Blick auf die Europawahl im Mai und die Besetzung zahlreicher EU-Spitzenposten. „Die Europawahl muss uns genauso wichtig sein wie die Bundestagswahl.“

Ein ähnlich engagierter Wahlkampf wie im Bund und eine hohe Wahlbeteiligung seien wichtig, schon, damit Populisten weniger Stimmen bekämen. Denn die Europäer müssten zusammenarbeiten, um sich im globalen „Wettbewerb von Werteordnungen“ zu behaupten, sagte Oettinger. Die deutsche Werteordnung werde geprägt von einem liberalen Menschenbild und der sozialen Marktwirtschaft. „Jetzt erleben wir, dass es auch andere Ordnungen und Unordnungen gibt“, betonte Oettinger. „In Ankara, in Moskau, und auch aus dem Weißen Haus tweeten Autokraten rund um die Uhr.“ US-Präsident Donald Trump mache Politik mit dem Dollar, deswegen sollten die Europäer alles tun, um ihre Souveränität mittels Euro zu stärken. Die EU müsse ihre wirtschaftliche Stärke im Inneren mit dem Binnenmarkt und in den Außenbeziehungen mit gemeinsamen Handelsabkommen nutzen. Der Binnenmarkt sei auch die Grundlage für den Erfolg des Exportlandes Deutschland. Zur Weltpolitikfähigkeit der EU gehörten ferner Mehrheitsbeschlüsse in der Außenpolitik und ein „europäisches FBI“.

Gemeinsam Anschluss zur Weltspitze halten

„Wir brauchen mehr und gemeinsame Investitionen zum Beispiel in Bildung und Forschung, um mit China und dem Silicon Valley zu konkurrieren“, mahnte der EU-Haushaltskommissar. „Europa darf nicht das Freiluftmuseum von morgen werden.“ Um bei neuen Technologien Anschluss an die Weltspitze zu halten, etwa bei der digitalen Revolution, sei mehr europäische Zusammenarbeit nötig.

Oettinger kritisierte den „Alleingang“ Deutschlands beim geplanten Ausstieg aus der Kohleverstromung. Die CO2-Emissionsmengen in der EU würden Jahr für Jahr reduziert. „Der bessere Weg wäre gewesen, die Deutschen hätten gesagt, wir wollen bei diesen Emissionspfaden noch stärker mitwirken“, sagte Oettinger. Beihilfen, die im Zuge des Kohleausstieges gezahlt werden sollten, seien „wettbewerbsrelevante Vorgänge“, warnte er zudem. Das Vorgehen beim Kohleausstieg nannte Oettinger „typisch deutsch“.

Westbalkan-Länder im nächsten Jahrzehnt in die EU aufnehmen

Europa sei zuallererst eine „Friedensunion“. Die EU habe erfolgreich Frieden, Freiheit und eine stabile Wirtschaftsordnung in viele europäische Länder exportiert, etwa Litauen, Lettland, Tschechien oder Slowenien. Die „logische Schlussfolgerung“ daraus sei eine Erweiterung im nächsten Jahrzehnt um sechs Westbalkanländer. Die Beitrittsperspektive für diese Länder müsse glaubwürdig sein, „sonst wenden sie sich von uns ab“, mahnte Oettinger. „Dann hätten wir aus der jüngsten Zeitgeschichte nichts gelernt.“ So wie nach dem zweiten Weltkrieg Deutschland in den Kreis der Europäer aufgenommen worden sei, sollten nun andere aufgenommen werden.

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VIDEO: Mitschnitt der Rede von EU-Kommissar Oettinger mit Fragen & Antworten im Anschluss